Am 9. November
1989 besuchte ich gerade das erste Schuljahr der Schauspielschule „Theater der
Keller“ in Köln. Die Bilder des Mauerfalls sah ich mir auf einem sehr kleinen
Schwarz-Weiß-Fernseher an, mit klobigen Knöpfen zum Umschalten. Den hatte
ich meinen Eltern, wie noch so einiges mehr, beim Auszug abgeschwatzt, da
dieser sowieso ausrangiert im Haus herumgestanden hatte.
Am Morgen nach
dem Mauerfall nippte ich also in meiner ersten eigenen Wohnung an meiner Kaffeetasse
und dachte daran, wie meine Mitschüler des Gymnasiums, noch zu Zeiten des Eisernen
Vorhangs, ohne mich mit dem Zug auf Klassenfahrt nach Berlin gefahren waren.
Meine Eltern waren
infolge ihrer / unserer Republikflucht aus Prag in Abwesenheit nämlich zu
jeweils ein paar Jahren Gefängnisstrafe verurteilt worden. (Tröt-Archiv:
Nr.5 / 27.06.2014 und Nr.19 / 03.10.2014)
Damals
fuhr man, wenn man mit dem Zug nach Berlin fuhr, ein Stück durch die damalige
DDR - demnach sozialistisches Territorium. Und demnach auch für mich gefährlich. Es sei denn, meine Eltern hätten mich loswerden wollen ...
Und auch meine
Eltern konnten West-Berlin vor der Wende nur mit dem Flugzeug besuchen. Die DDR
hätte sie ausliefern können.
Als die Kollegen des Ärztekongresses, dem meine Eltern beiwohnten, das Pergamonmuseum (Ost-Berlin) besuchten, da mussten meine Eltern sich ein anderes Programm überlegen.
Als die Kollegen des Ärztekongresses, dem meine Eltern beiwohnten, das Pergamonmuseum (Ost-Berlin) besuchten, da mussten meine Eltern sich ein anderes Programm überlegen.
Und als sie am
Abend an einem Empfang im Reichstag teilnahmen, da blickten sie nur kurz zu den
bunten Lichtern der Stadt. Schon einen Moment später starrten beide zur dunklen
Spree - dorthin, wo die damalige Grenze verlief. Und beide fanden sich erneut
darin bestätigt, alles zurück und hinter sich gelassen zu haben.
Für meine
Eltern bedeutete der Mauerfall vor allem eines: Nach Jahren der gedanklichen
Disziplin, in der sie sich ein neues Leben in einem anderen Land aufgebaut hatten und
sich den Blick-Zurück verbaten, durften sie plötzlich wieder den Gedanken
zulassen, dass Prag - ihre Goldene Stadt und meine Geburtsstadt - zu besuchen
nun tatsächlich wieder möglich wäre.
Mir bescherte
der frische Mauerfall übrigens - außer dem Gefühl, dass vielleicht doch (fast) alles
möglich sei - eine witzige Anekdote:
Damals, kurz
vor meinem Start auf der Schauspielschule, hatte ich für einen wirklich sehr
symbolischen Obolus, das Auto einer Freundin meiner Eltern übernehmen können.
Ist Ihnen die
niederländische Automarke DAF noch ein Begriff?
Diese Autos mit
Variomatic? Nur zwei Gänge: Vorwärts- und Rückwärtsgang! Und aufgrund des
Wendegetriebes im Vorwärts- und Rückwärtsgang gleich schnell!
Mein DAF war
zudem noch quietschgelb und an beiden Seiten, da verlief jeweils einen schwarzer
Rallyestreifen ... yeah ;-)!
Mit diesem
Auto ist man jedenfalls definitiv aufgefallen! Ob man nun wollte oder nicht ...
Dann fiel die
Mauer ... und das mit der Verwechslung, das ist mir tatsächlich erst ein paar
Tage später so richtig bewusst geworden!
Der DAF hatte
nämlich, für den ungeübten Blick, ziemlich viel Ähnlichkeit mit einem Trabbi!
Und so kam es,
dass mir kurz nach dem Mauerfall tatsächlich wildfremde Menschen anfingen, auf
der Autobahn zuzuwinken!
Beim ersten
Mal, da dachte ich noch, ich hätte mich wohl verguckt! Dann aber fing es an
sich zu häufen. Und die Möglichkeit, trotz eines eindeutigen West-Kennzeichens,
als "Ossi" ge- und begrüßt zu werden, kam mir irgendwann tatsächlich immer
wahrscheinlicher vor.
Und so fing
auch ich irgendwann an, vor Freude strahlend das Winken zu erwidern ...
Eine der Anekdoten,
die meine Mutter gerne über mich erzählt, handelt darüber wie meine Eltern mir,
dem damals kleinen Mädchen, mal versuchten die deutsche Teilung zu erklären.
Daraufhin
lautete meine messerscharf beobachtete Antwort:
"Da haben
wir aber Glück gehabt, dass ihr in den "richtigen Teil" von
Deutschland geflohen seid"!
Das bringt
meine Mutter noch heute zum Lachen.
Tja, alles
andere, hätte in unserem Fall ja nun wahrlich auch nicht viel Sinn gemacht ...
Und so hatte
Berlin - aus der Distanz betrachtet - dann auch immer etwas Verklärtes für
mich. Unabhängig davon, dass in dieser Stadt tatsächlich auch Geschichte
geschrieben wurde.
Denn da waren
zum Beispiel die Ostdeutschen, die sich mit dem Sozialismus ja bestens "auskannten"
und Prag - für den Ostdeutschen ja frei zugänglich - genauso zu schätzen
wussten, wie ein Prager.
Der Ausspruch:
"Prag ist ja eigentlich wirklich schön, wenn da nicht überall diese
abgeplatzte Fassade wäre" - habe ich übrigens immer nur in Westdeutschland
zu hören bekommen.
Und so könnte
es gut sein, dass ich, die Ex-Kölnerin im Herzen, im Jahr 2001 unbewusst auf
Spurensuche gegangen bin, mit meinem Umzug nach Berlin.
Angefangen im
Westen Berlins habe ich schließlich den Großteil der letzten dreizehn Jahre im
Ostteil verlebt. Bis heute. Und nach wie vor zum Leidwesen des weltbesten
Mannes. (Tröt-Archiv: Nr.8 / 18.07.2014)
Und noch immer,
wie ich finde, ist das Ost-West-Thema brandaktuell. Zumindest für mich - auch
unabhängig von dem sich nun nahenden Datum des Mauerfalls.
Sei es zum
Beispiel, dass es mit dem weltbesten Mann weiterhin tagtäglich Diskussionen
gibt, wie sehr „ER“ wieder in den Westteil der Stadt "rübermachen" möchte!
Sei es, dass
ich im Laufe meiner Berlin Zeit erfahren habe, dass das Wort „Wessi“ und
„richtig betont“, ein richtiges Schimpfwort sein kann.
Das gilt
übrigens auch umgekehrt.
Sei es, dass
ich erlebt habe, dass manch ein „Ossi“ ein noch weitaus größerer Kapitalist
sein kann als mancher „Wessi“ ... was man übrigens so oder so sehen kann ;-).
Sei es, dass
ich nach ein paar Jahren in Berlin erkannt habe, dass Ostdeutschland nichts mit
Tschechien zu tun hat - und Sozialismus nicht gleich Sozialismus ist.
Und dass der
Ostteil Berlins nicht für den gesamten ehemaligen Osten steht, sondern einen
absoluten Sonderstatus innehat - und damit neue, einhergehende Probleme.
Und ich rede
nicht davon, dass der Prenzlauer Berg mittlerweile größtenteils in „Schwaben-Hand“
ist ... ;-)
Und zu guter
Letzt – dass die Mauer noch in vielen Köpfen, auf beiden Seiten zugleich,
besteht.
Dass Herr
Gauck kürzlich (mal wieder) von der Möglichkeit der freien Meinungsäußerung
gebrauch gemacht hat, das befürworte ich!
Denn - er war
dabei.
Auch wenn
manch einer der Meinung ist, als Bundespräsident müsse man sich neutral
verhalten.
Ich selbst
habe schon miterlebt, wie selbstverständlich es für den ein oder anderen
Ostdeutschen ist auch weiterhin das zu wählen, was man zu DDR Zeiten schon
kannte - nur unter einem anderen Namen.
Gott sei Dank
leben wir ja in einer Demokratie, und - wenn es denn sein muss - so sei es!
Umgekehrt habe
dann aber ich auch die Freiheit zu sagen, was ich davon halte:
Zum Beispiel,
dass ich es absolut nachvollziehen kann, dass es für ehemalige DDR Bürger die
unter der DDR-Diktatur verfolgt und/oder drangsaliert wurden, tatsächlich wie ein
Schlag ins Gesicht wäre, würden eben diese Menschen wieder eine
Führungsposition innehaben. 25 Jahre danach.
Da braucht es
vielleicht doch noch mindestens eine Generation mehr.
Denn der
Mensch vergisst und die Erinnerung ist meist schöner.
Nur so kann
und will ich mir eigentlich nur erklären, was ich die Tage eine ehemalige Bürgerin
der DDR in das Mikro der ARD habe sagen hören:
„Manchmal
wünsche ich mir die DDR zurück ... „
Ganz ehrlich,
mir ist tatsächlich der Kiefer runtergeklappt!
Zuvor nämlich,
hatte ich mit dem weltbesten Mann im Auto - auf dem Weg vom Westen in den Osten
natürlich - noch folgenden Dialog:
Ich: „Ich
verstehe ja auch, irgendwie, dass man sich als ehemaliger DDR Bürger nicht
völlig absprechen lassen möchte, dass alles in dem Leben, das man vor der Wende
geführt hat, nur schlecht war!
Grundsätzlich scheint
es aber wohl auch - vor allem mit ein paar Jahren Abstand - auf die Prioritäten
anzukommen! Denn auch im Sozialismus konnte man (wohl) ganz gut (mit) leben. Wenn
es einem nichts „ausgemacht“ hat, sich an die Spielregeln zu halten. Aber Demokratie
ist doch das höchste Gut!“
Er: „Ja, ja
...Die Zeit des Nationalsozialismus war auch nicht nur schlecht und grausam!“
„ICH“ sieht
entsetzt zu „ER“.
Dann versteht
„ICH“.
Deshalb ... nach
25 Jahren Wiedervereinigung, nach all den Tränen vorher und all den Tränen nachher,
nach all den verschiedenen, aus der damaligen Diktatur resultierenden Schicksale, nach
all den Menschen, die sich dieser Diktatur zu widersetzen versuchten, und all
denen, die im Versuch zu fliehen ermordet wurden, nach all denen, die unter
Druck gesetzt, gebrochen, entzweit, und ihrer Gedanken beraubt wurden ... nach
all diesen Menschen ... und nach all den
Jahren, plus den letzten 25 ... hoffe ich:
Da geht doch (wohl)
hoffentlich noch etwas (mehr) ...?
Schlafen Sie
gut!
Ihre
Jana
Hora-Goosmann
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