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Freitag, 8. Mai 2015

Trötgedanken- Special | Feuilleton Story: "Herr Ohlsen und der Koffer" | Teil 4



Wieso-Weshalb-Warum?
Nachzulesen im ersten Teil (Tröt-Archiv: 17.04.2015)

Playlist Teil 4.

Passend zum vierten Teil hätte Herr Ohlsen (vielleicht) folgendes Lied gehört: 
Lenny Kravitz "It ain't over till it's over"

https://www.youtube.com/watch?v=wkURz6H0I0I


                                              4.

Herr Ohlsen schwor sich, nie wieder einen Schluck von Nicos eingelegten Spezial Kräutern zu trinken. Seit Stunden schon kämpfte er in seiner Wohnung gegen eine anhaltende Übelkeit an. Diese überkam ihn in schwindelerregenden Wellen, da half es auch nichts, dass fast zeitgleich die Magenschmerzen verschwunden waren. Bereits zum wiederholten Male ließ er nun eiskaltes Wasser über Gesicht und die Handgelenke laufen und dachte, dass, wenn dies so weiterginge, die Übelkeit ihm wohl auch noch den letzten, halbwegs klaren Gedanken rauben würde. Für einen Moment vergrub er nun das Gesicht in einem Handtuch, dessen Blumenmuster schon ganz verblichen war, und als er es sinken ließ und stirnrunzelnd sein blasses Spiegelbild betrachtete, da meinte er, wie auch schon ein paar Minuten zuvor, als hätte er von irgendwoher ein leises Rascheln vernommen. Er wandte den Kopf zur Seite und horchte in die Tiefen seiner Wohnung, aber wie auch schon die Male zuvor, vom Rascheln nun keine Spur. Daraufhin zuckte Herr Ohlsen matt mit den Schultern. Da er sich nicht entscheiden konnte das Badezimmer zu verlassen, starrte er für ein paar Atemzüge einfach ins Leere, dabei fragte er sich, wie es wohl Nico ging und dachte, dass er dessen bitteres Lachen nicht so schnell wieder vergessen würde.





"Du auch, Herr Ohlsen?", hatte Nico ihn, sobald dieser das Lokal betreten hatte, mit verletztem Blick empfangen. Dabei starrte er auf den Koffer in Herrn Ohlsens Hand, dessen Griff ihm langsam drohte aus der feuchten Handfläche zu rutschen.



Herr Ohlsen verstand nicht, und so ließ er Nico erst noch einen weiteren Schluck aus der Weinflasche nehmen, bis er sich irgendwann schließlich ein Herz nahm und leise "Wie geht es Rosi?", fragte.





"Rosi ist weg." presste Nico irgendwann nach einer kleinen Ewigkeit durch die verkniffenen Lippen, und setzte die Weinflasche erneut an den Mund.



Herr Ohlsen ließ den Koffer aus seiner Hand auf den Boden fallen. Und während er mit gesenktem Blick zwei Schritte zum kleinen Personaltisch neben dem Eingang ging, suchte er verzweifelt nach Worten. Als er sich seinem Chef gegenüber niederließ, spürte er, wie ihm die Tränen in die Augen schossen. Das Unaussprechliche war nun also tatsächlich ausgesprochen worden, dachte er. Und dass eine Situation, die man in Gedanken möglicherweise schon längst durchgespielt hatte, sich in der Realität nicht unbedingt realer anfühlen musste.



"Mein Beileid ...", flüsterte Herr Ohlsen nun.



"Was meinst du?", stellte Nico die Weinflasche polternd wieder ab.



"Rosi ist weg, verstehst du, Herr Ohlsen?"



"Ja, das hab ich verstanden ... deshalb ..."



"Sie ist weg!", wiederholte Nico nun, und es klang störrisch.



"Ja, Chef, ich ... kann gar nicht in Worte fassen, was ich ... ich mach dir einen Espresso ...", sprach Herr Ohlsen seine Worte nun umso bedächtiger aus.



"Herr Ohlsen ... Rosi ist ...", brach Nico plötzlich und unerwartet in sich zusammen.



"Sie ... ist ...", stützte er den Kopf nun in seine Hände. Einen Atemzug später schluchzte er bereits ungehemmt vor sich hin.



"Sie ist ...", wurde Nico erneut von einem weiteren Schluchzer geschüttelt.



" ... nun an einem ... vielleicht besseren Ort!", bemühte Herr Ohlsen sich Nicos Satz zu beenden.



"Sie ist weg! Weg von mir!"



"Ja ... Chef ..."



"Mit meinem Geld! Und macht sich ein schönes Leben! Ohne mich und wer weiß, mit wem!", schrie Nico nun verzweifelt auf.



"Was?", rief Herr Ohlsen nun aus.



"Schon seit Wochen, Herr Ohlsen! Seit Wochen ist sie schon weg ...", rief Nico, den verzweifelten Blick auf die Tischplatte geheftet, nun weiter.



"WAS?", wiederholte Herr Ohlsen, mehr fiel ihm erst mal nicht ein.



"Der Koffer sah ganz ähnlich aus wie deiner, Herr Ohlsen, und dann war sie weg".



Herrn Ohlsen war, als würde der Feuerball in seinem Bauch sich nun systematisch durch seine Eingeweide fressen.

Mit schmerzverzerrtem Gesicht presste er eine Hand auf den oberen Bereich seines Bauchansatzes.



"Ist nicht wahr, Chef, wieso hast du denn nichts gesagt?", nuschelte er nun, gegen eine erneute Schmerzwelle ankämpfend, weiter. Nico schüttelte wortlos den Kopf.



"Sie war also gar nicht krank? Warum denn dann ... alles?", flüsterte Herr Ohlsen nun, woraufhin Nico den Kopf nur noch tiefer senkte.



"Ich habe mich geschämt ... Herr Ohlsen ... darum ... ich bin wohl ein schlechter Ehemann."



"Chef, das glaub ich einfach nicht! Ich kenn Sie doch ... und Rosi! Die Gastronomie ist ein schwieriges Pflaster ... da bleibt nicht viel Zeit für ..."



"Was hast du, hast du Schmerzen? Was ist mit deinem Bauch?", unterbrach Nico ihn.



"Du brauchst meine Spezialmischung, warum sagst du denn nichts? Und ich brauche noch mehr Wein!"



"Nein, Chef, wirklich nicht, und vielleicht auch keinen Wein mehr ... wir öffnen doch später ... also schon bald!"



"Heute bleibt das "Casa Egidio" geschlossen" erwiderte Nico.



Dies verschlug Herrn Ohlsen für einen Moment die Sprache. Das hatte es im „Casa Egidio“ noch nie gegeben.



"Norbert und Luigi wissen Bescheid", fuhr Nico ungerührt weiter fort, und verschwand hinter der Theke.



"Was ...", starrte Herr Ohlsen erst ins Leere und dann wieder zu Nico, der nun mit zwei Flaschen und einem Glas wieder auftauchte.



Und so blieb Herrn Ohlsen erst mal nichts anderes übrig als sich resigniert in seinen Stuhl zurückfallen zu lassen. Hilflos musste er nun dabei zusehen wie Nico das Glas vor ihm zur Hälfte mit der - von allen gefürchteten - ockerfarbenen Flüssigkeit füllte, einem alten Familienrezept in vierter Generation. Diese hatte schon immer und bereits aus der Ferne, bei Herrn Ohlsen den Würgreflex aktiviert. Heute jedoch würde er wohl nicht mehr drum rum kommen und auch mal kosten müssen.



"Sie war so schön, Herr Ohlsen, wie sie so da stand ...!", entkorkte Nico nun eine weitere Wein Flasche. Dann stieß er mit dem Flaschenboden sachte gegen das Glas vor Herrn Ohlsen. Während dieser über das gehobene Glas hinweg dem herausfordernden Blick seines Chefs standhielt, meinte er, aus den Augenwinkeln heraus beobachten zu können, wie der Inhalt seines Glases sich nun sogar leicht grünlich zu verfärben schien.



"Cin Cin!"



"Prost", stürzte Herr Ohlsen den absonderlichen Inhalt sofort und in einem Zug hinunter. Den Augenblick danach meinte er, ein Feuerschwall würde ihm aus Augen und Ohren treten.



"Ist gut für dich, Herr Ohlsen", nickte Nico ihm nun traurig zu. Und ehe Herr Ohlsen sich versah, da hatte Nico ihm bereits wieder nachgeschenkt.



"Nein ...", wehrte er schwach ab.



"Doch!" prostete Nico ihm erneut mit der Weinflasche zu.



"Dann brauch ich ein Bier dazu ...", murmelte Herr Ohlsen nun.



"Gute Entscheidung!", rief Nico nun aus. Nachdem er mit einem ungelenken Ruck aufgesprungen war, stolperte er nun fast über den Koffer, den Herr Ohlsen inmitten des kleinen Vorraumes hatte fallen lassen.



"Was ist das, Herr Ohlsen? Was ist das für ein Koffer?"



Herr Ohlsen warf einen Blick auf den Koffer, der nun zur Seite gekippt auf dem Boden lag, und zuckte mit den Schultern.



"Längere Geschichte", murmelte er.



"Sie sah so schön aus, als sie mit dem Koffer in der Tür stand", schien Nico nun, während er das Bier für Herrn Ohlsen zapfte, gedanklich völlig entrückt.



"Sie sagte, dass es reicht! Nico, es reicht! Und dann ist sie einfach gegangen, Herr Ohlsen! Nach 17 Jahren ist sie einfach so gegangen! In den neuen Schuhen, die ich ihr zum letzten Hochzeitstag geschenkt habe! Ich hätte diese Schuhe verbrennen sollen! Nein, ich hätte ihr die Schuhe erst gar nicht schenken dürfen! Das weiß doch jeder, dass man seiner Frau keine Schuhe schenken darf, denn sonst läuft sie in denen weg! Hast du verstanden, Herr Ohlsen? Altes italienisches Sprichwort! Das darf man niemals tun!", knallte Nico nun das Bier vor Herrn Ohlsen auf den Tisch. Dann ließ er sich seufzend auf den Stuhl fallen und hob erneut die Flasche.



"Cin Cin!"



"Immerhin ...", hob Herr Ohlsen mit einer matten Bewegung das Glas. Widerwillig musterte er die ocker-grünlich schimmernde Flüssigkeit, in der unzählig viele Kleinpartikel nun auch noch wie wild durcheinander zu schweben schienen.



"Immerhin ... was?", stellte Nico die Weinflasche mit Schwung wieder auf dem Tisch ab.



"Immerhin hat Rosi noch etwas gesagt. Jutta ist damals ohne ein Wort gegangen. Ohne ein einziges Wort! Kannst du dir das vorstellen, Chef?", sagte Herr Ohlsen nun leise.



"Jutta ist weg?", starrte Nico nun verblüfft zu Herrn Ohlsen.



"Das weißt du doch!", stutzte Herr Ohlsen.



"Aber ich dachte ... wir haben da ja nie so richtig drüber gesprochen ...", suchte Nico nun nach Worten.



"Ja."



"Und nachdem ich Jutta irgendwann danach ... also zufällig, meine ich, getroffen ha ..."



"Was? Wo? Du hast Jutta getroffen? Wann?", sprudelte es nach einer Schrecksekunde atemlos aus Herrn Ohlsen nun heraus.



Zu allem Überfluss verschluckte er sich dabei am Abgang des grässlichen Teufelszeugs, so dass - aufgrund des akut hervorgerufenen Hustenreizes - das Brennen der Spezialmischung sich nun auch noch durch die Schleimhäute seiner Nasenwände zu fressen schien. Und so musste Herr Ohlsen erst ein Mal, und schließlich noch zwei weitere Male niesen, bis Nico ihm endlich hätte antworten können. 

Aber Nico dachte gar nicht daran. Seelenruhig setzte er die Weinflasche zum wiederholten Male an den Mund und als er sie wieder absetzte, sagte er nur mit einem Nicken "Ist gut für dich, Herr Ohlsen!"



"Hat sie etwas gesagt?", rief Herr Ohlsen schließlich lauter als ursprünglich gewollt.



"Sie wollte wissen, wie es dir geht."



"Und was hast du geantwortet?"



"Blendend. Ich habe gesagt, es gehe dir blendend. Ich dachte, du hättest sie verlassen, und dies sei demnach die einzig richtige Antwort, Herr Ohlsen ..."



Herr Ohlsen griff zu dem Bierglas vor sich und stürzte es in einem Rutsch runter. Für einen Moment wusste er nichts von alledem einzuordnen.



Das Glas wie eine Trophäe vor sich her tragend stand er deshalb auf und umschiffte, gerade noch so, den auf dem Boden liegenden Koffer. Hinter der Theke beobachtete er stumm die Schaumkrone, wie diese sich beim Zapfen langsam sprudelnd im Glas hocharbeitete, und dabei schlug sein Herz wie wild. 

Jutta hatte sich damals nach ihm erkundigt! Immerhin, dachte er. Und zur Abwechslung zog sich diesmal sein Herz und nicht der Magen zusammen.



"Was habe ich euch gesagt, wir haben heute geschlossen!", hörte er Nico plötzlich liebevoll ausrufen. Als Herr Ohlsen den Kopf hob, da öffnete sich auch schon die Tür und Norbert und Luigi betraten nacheinander das „Casa Egidio“. Beide trugen altmodische Lederjacken, sodass sie mit viel Liebe etwas vom Look der Serie „Straßen von San Francisco“ ausstrahlten. Herr Ohlsen aber spürte nur eines, nämlich, sein Herz schier überlaufen. Zum wiederholten Male musste er daran denken, wie sehr er an diesem Laden und den Menschen hing.



Luigi, wie immer schwerfällig atmend, schloss gleich die Tür ab. Die Lederjacke, die er trug spannte sich in breiten Streifen über seinem bulligem Rücken.



"Chef, lass uns ein Schild basteln und hier verschwinden, du musst nach Hause!", klang Norberts ruhige Stimme nun durch den Raum.



"Mir geht’s gut!", beharrte Nico "Ich kann euch gerade nur leider nicht bezahlen ..."



Herr Ohlsen, Norbert und Luigi warfen einander einen schnellen Blick zu.



„Ich werde wohl schließen müssen ...“, schloss Nico nun leise.



Es war als hätten alle im Raum den Atem angehalten.



Erst jetzt bemerkte Herr Ohlsen, wie das Bier aus dem Zapfhahn schon länger wohl über den vollen Rand des Glases gelaufen sein musste. Schnell betätigte er den Hebel wieder in die entgegensetze Richtung, da verbarg Nico erneut das Gesicht in den Händen. Herr Ohlsen sah über Nicos bebende Schultern hinweg zu Norbert und dann zu Luigi, und es war als hätten alle drei einen Pakt geschlossen.



„Ist ja nicht wahr, Chef!“, schwang Norberts Stimme nun warm und ruhig durch den Raum, „Darüber reden wir aber nochmal ... und zwar alle ...!“



„Non possibile, Nico! Wieso sprichst du nicht mit uns ...“, setzte Luigi sich nun schwerfällig in Bewegung.



Wie immer stützte er sich dabei im Vorbeigehen an Menschen, Tischkanten oder Sonstigem ab, in diesem Falle an Norbert, der nun, den Blick auf Nico gerichtet, einen Schritt zur Seite wich, dabei prompt mit dem Hacken am Koffer abrutschte, und nun zur Seite stolperte. Auf diesen Umstand war der massige Körper von Luigi jedoch nicht gefasst. Den Koffer im Sturz frontal vor Augen, rutschte er nun schwerfällig von Norberts Schulter ab, um sofort in maximaler Erdanziehungsgeschwindigkeit frontal in Richtung Boden zu stürzen und schließlich mit der Schulter auf einer Ecke des Koffers aufzuprallen, sogleich aber erstaunlich behände darüber hinwegzurollen, um schließlich und zu guter Letzt, wie ein auf dem Rücken liegender Käfer mit Armen und Beinen in der Luft zu rudern.



„Was ... ist das?“, rief Luigi, den Blick an die Decke gerichtet, verblüfft aus.



Und dann kam, was kommen musste. Nico fing als erster an, und er wusste gar nicht alles zu koordinieren - die vom Weinen laufende Nase hochziehen und sich gleichzeitig vor Lachen glucksend den Bauch zu halten. Als nächster fiel Luigi mit ein und rieb sich vor Lachen grunzend über die tränenden Augen. Herr Ohlsen hatte das Bier noch gar nicht abgestellt, da wurde er bereits von heftigem Kichern geschüttelt. Dies gab sich auch nicht wieder, als er längst schon zu Luigi gestürzt war um Norbert zu Hilfe zu kommen, der sich, über Luigi hockend, wiederum so gar nicht mehr einkriegen wollte. Schließlich mussten alle mit vereinten Kräften helfen, um Luigi wieder aufzurichten. Dies war bei Luigis Körperumfang per se schon kein leichtes Unterfangen - und so wollte das Lachen der Männer einfach nicht abreißen. Irgendwann, als es schließlich und endlich geschafft war, standen alle dicht gedrängt zusammen, man klopfte einander herzlich auf die Schulter, erleichtert und vom Lachen entkräftet, und war dankbar, in den Augen des anderen zu guter Letzt doch noch einen Funken Zuversicht gelesen zu haben.



„Nico, wir bringen dich jetzt nach Hause“, grinste Herr Ohlsen.



„Wartet ab, zu Hause habe ich eine noch viel bessere Spezialmischung als hier, ihr werdet sehen!“, rief Nico nun.



„Nein, bloß keine Spezialmischung, danke ...“ sprach der Rest der Truppe nun wild durcheinander.



„Doch! Spezialmischung für alle!“, schrie Nico.



Bereits ein paar Minuten später also spazierte eine illustre Gesellschaft mit Koffer bis zum Ende der Straße, um sogleich wieder scharf rechts in eine weitere Straße einzubiegen. Luigis Hand war schwer auf Herrn Ohlsens Arm gestützt, während die Gruppe sich langsam aber stetig fortbewegte und jeder seinen eigenen Gedanken nachhing.



„Jetzt mal ehrlich, was soll das mit dem Koffer, Herr Ohlsen?“, fragte Luigi atemlos aber schmunzelnd. Die Anstrengung jedes einzelnen Schrittes stand ihm nur allzu deutlich ins Gesicht geschrieben.



„Lange Geschichte ...“, seufzte Herr Ohlsen wieder nur.



Insgeheim wunderte Herr Ohlsen sich jedoch. Wie konnte es bloß sein, dass der Koffer nach Luigis Aufprall nicht die kleinste Schramme oder Beule davon getragen hatte? Da war die Truppe aber auch schon vor einem kleinen Reihenhäuschen angekommen. Und noch ein paar Augenblicke später starrte Herr Ohlsen bereits wieder voller Ekel auf die angeblich NOCH BESSERE Spezialmischung in dem Glas in seiner Hand.



„Cin Cin!“ rief Nico.



Dann leerte Nico sein Glas als Erster und in einem Zug. Alle standen sie dicht gedrängt nun in der kleinen Küche vor dem Kühlschrank, aus dem Nico gerade die Flasche mit dem undefinierbaren Inhalt entnommen und großzügig eingeschenkt hatte. Der Rest warf einander einen flehentlichen Blick zu, bis schließlich einer nach dem anderen die Augen schloss und tat, was getan werden musste. Irgendwann, nachdem Herr Ohlsen erleichtert festgestellt hatte, dass die hell aufblitzenden Sterne vor seinen Augen langsam wieder verschwanden, hoffte er nun, dass seine Zunge nicht für immer taub blieb.



„Sseff ... ääähhmm, Sscheff, SCHEF!“, nahm Herr Ohlsen deshalb ein paar Mal Anlauf. Jeder noch so kleinste Luftzug, der seine Zunge streifte, schien auf der Oberfläche seiner Zunge ein loderndes Feuer zu entfachen. Dafür waren seine Magenschmerzen aber verschwunden, wie Herr Ohlsen nun verwundert bemerkte.



„Cheffff ...“, kam Norbert ihm nun zu Hilfe.



„Ich denke, ich spreche für alle, wenn ich sage, dass du dir um unseren Lohn eeerssst mal keine Sorgen machen musst. Das lass ssmal unsere Sorge sein!“



Herr Ohlsen und Luigi nickten sofort beipflichtend, und Nico rieb sich gerührt über die Augen.



„Sheff ... weißt du, wo sie hingegangen ist?“, ließ es Herrn Ohlsen - die Spezialmischung tat ihr Übriges - nun doch keine Ruhe.



„Schätze mal ... nach München, zu ihrer Schwester ...“, antwortete Nico leise.



„Gott sei Dank, Rosie geht’s besser, ja?“, rief Norbert nun übermütig aus.



Herr Ohlsen der leicht versetzt hinter Nico stand, deutete, mit einer fahrigen Handbewegung, Norbert an zu schweigen.



„Es geht ihr blendend, könnte man sagen. Auf meiner Kreditkartenabrechnung stehen nur schöne Dinge...“, schloss Nico nun bitter. 
Dann legte er mit einem tiefen Seufzer den Kopf neben sich ab, auf Luigis stämmiger Schulter, und für einen winzig kleinen Moment schien es, als würde er im Stehen dösen. Dies nahm Herr Ohlsen schnell zum Anlass, um „Sie ist nicht krank, sie hat ihn verlassen ...“, zu flüstern. Daraufhin schlug Norbert spontan die flache Hand vor den Mund und Luigis Kiefer klappte mit einem lauten Knacken runter.



Ein paar schweigende Atemzüge verweilte die Gruppe so. Irgendwann später dann, griffen Herr Ohlsen und Norbert sich jeweils einen Arm von Nico und schoben ihn sachte aus der Küche in den geräumigen Flur. Schnell rekapitulierten sie Nicos letzten Geburtstag, woraufhin sie sich leise einigten, dass Nicos Schlafzimmer neben dem Badezimmer gelegen sein musste. In der Tat war dem auch so, und nachdem Nico wie ein nasser Sack aufs Bett gefallen war, rollte er sich sofort wohlig grunzend zusammen.



Da Herrn Ohlsen seit dem Genuss der letzten Spezialmischung ein anhaltendes Ohr Piepen plagte, musste er kurz nachfragen als Norbert „Ihre Sachen sind wirklich weg“, flüsterte, und auf die geöffnete, halb leere Kleiderschrank Seite deutete. Zurück in der Küche räumten sie wortlos dann das ein oder andere zusammen. Und nachdem jeder für sich eine Zeit lang seinen Gedanken nachgehangen hatte, sahen die drei Männer einander konspirativ an.



„Ich rufe meinen Vetter an, der soll Nico gleich morgen nach München fahren. Rosi und er, die müssen doch mal reden!“



„Perfekt, Luigi“, nickte Herr Ohlsen und Norbert klopfte Luigi auf die Schulter.



„Ich werde mir bis morgen eine eingeschränkte Karte überlegen, für ab Montag ...“, schien es in Norberts Kopf bereits bis in die kleinste Konsequenz gerattert zu haben.



„1A, das wollte ich dir gerade auch vorschlagen ...“ nickte Herr Ohlsen nun begeistert.



„Und ... was ich noch sagen wollte ... ich habe noch einen kleinen Puffer ... aber wie sieht’s bei euch aus?“ tastete Herr Ohlsen sich nun vorsichtig vor.



„Passt ...“, nuschelte Norbert mit gesenktem Blick während Luigi nickte und gleichzeitig mit den Schultern zuckte.



„Dann hätten wir ja alles geklärt!“, grinsten einander alle drei nun an.



Und jetzt, Stunden später, wurde Herr Ohlsen diese vermaledeite Übelkeit einfach nicht los. Wie ein lauernder Puma schien diese sofort aufzuspringen sobald Herr Ohlsen gedachte sich länger hinzulegen. Als er vor ein paar Stunden leicht wankend nach Hause gekommen war - das Fahrrad hatte er vor dem Maria’s angekettet stehen gelassen - da war es erst kurz nach 17 Uhr und seltsam gewesen nun die eigene Wohnungstür aufzuschließen, statt die Gäste im Casa Egidio zu bedienen. Mehr aus Faulheit hatte er den Koffer beim Betreten der Wohnung nicht gleich abgesetzt, sondern mit in die Küche getragen und schließlich auf dem Küchentisch abgelegt. Dann hatte er die Kühlschranktür geöffnet, die Milchtüte hervorgeholt und sogleich an den Mund gesetzt. Dies hatte Jutta immer zur Weißglut gebracht, wie ihm trotzig nun wieder einfiel. Da hätte Herr Ohlsen sich beinahe verschluckt. Einen Schluck später, hatte er die Milchtüte bereits wieder in den Kühlschrank zurückgestellt und sich schließlich entschlossen zum Koffer gewandt. Als seine Hände sich nun den beiden Schnappschlössern näherten, war er mit Sicherheit darauf eingestellt, um einiges länger herumhantieren zu müssen, bis - sofern diese nicht mit einem Schlüssel verschlossen worden waren - diese aufspringen würden. Aber schon bereits nach dem ersten sanften Druck sprangen diese nun auf. Herr Ohlsen strich erst noch einmal sanft über die Oberfläche des Koffers und klappte schließlich den Deckel auf. Als erstes fiel ihm das ebenfalls erstaunlich gut erhaltene Innenleben des Koffers auf. Dann überflog er erleichtert die Jahreszahl auf dem obersten Blatt eines Stapels Zeitungsschnitte, wie ihm auf den ersten Blick schien. Das oberste Blatt schien eine Reise Werbung aus den 70ern Jahren zu sein – bei Koffern in Berlin aus alten Luftschutzbunkern, da wusste man ja nie, dachte Herr Ohlsen. Er entnahm den Stapel Papier aus dem Koffer, legte ihn zur Seite auf den Küchentisch und nahm sich vor, diesen am nächsten Tag unbedingt etwas ausgiebiger zu studieren. Und dann fuhr er doch noch mal, wie als hätte sein Blick ihn getrogen, mit der Hand über die, mit kariertem Papier ausgelegten, Wände des Koffers. Aber bis auf den Stapel Papier - nichts. Herr Ohlsen nickte unmerklich, ganz so als wolle er sich selbst bestätigen dies bereits geahnt zu haben, und dabei musste er kurz aufstoßen - die Milch mit Nicos Spezial Gebräu zu mischen, das war vielleicht doch keine so gute Idee gewesen. Er klappte den Deckel wieder zu und trug den Koffer in Richtung Wohnzimmer, das er zum ersten Mal seit dreieinhalb Jahren und einem zerquetschten mal nicht zögerlich betrat, wie ihm nun selbst auffiel. Er steuerte die Ecke mit der auf dem Boden liegenden Tischlampe an, und bereits einen Moment später, hatte er die kleine Lampe auf dem Koffer drapiert. Diese reichte nun lange noch nicht bis über die Lehne des Zweisitzers hinaus, aber immerhin. Auf eine ihm gänzlich fremde Weise entrückt, beobachtete Herr Ohlsen nun wie das Licht des kleine Lampenschirms warm über die Oberfläche des Koffers kroch.



Und nun, Stunden später, stand er zum wiederholten Male erneut am Waschbecken und kämpfte an, gegen diese Übelkeit, die sich seit Stunden schon weder vor noch zurückbewegte. Irgendwann entschied Herr Ohlsen, er wolle dem Schlaf noch eine weitere Chance geben, und so taperte er zurück ins Schlafzimmer. Während er versuchte unter den aufgeplusterten Daunen eine Position zu finden, in der sich der Grad der Übelkeit die Waage hielt, überschlug er im Kopf, wie lange es ihm wohl möglich sein würde, ohne Lohn auszukommen. Da das Ergebnis ihn schreckte, dachte er lieber wieder an Jutta. In seinem Bauch gluckerte es unkontrolliert und heftig, und so schloss er die Augen und zwang sich ruhig ein und aus zu atmen, dabei meinte er sein Blut in den Ohren rauschen zu hören, bis ihm irgendwann klar wurde - dieses eigentümliche Rauschen, das ihm nun schon zum wiederholten Male aufgefallen war - wurde vom Inneren der Wohnung zu ihm getragen. 

Herr Ohlsen setzte sich auf und horchte in die dunkle Stille hinein. Und  da war es wieder, wie ein Windhauch der sanft ein weiches Blätterwerk zu streifen schien. Einen Moment später jedoch war alles wieder verstummt. Herr Ohlsen fragte sich ob er womöglich vergessen hatte ein Fenster zu schließen. Also schlug er seufzend die Decke zurück und schlüpfte in seine Pantoffeln. Ein paar Schritte später lugte er erst in die Küche und dann ins Bad, schließlich spinkste er noch ins Wohnzimmer. Die Fenster waren alle geschlossen, so viel war klar. 

Und dann vernahm Herr Ohlsen es ganz deutlich. Nur diesmal war ihm, als hätte jemand die Seite einer Zeitung umgeblättert. Für einen Moment schlug ihm das Herz bis zum Hals. “Blödsinn“, ermahnte er sich nun sogar laut. Festen Schrittes legte er sofort den Weg bis zur Lampe und dem Koffer zurück und betätigte den Lichtschalter der kleinen Lampe. Alles schien in bester Ordnung, und der kleine Lampenschirm auf dem Koffer verströmte in der Tat eine warme Atmosphäre aus, wie Herr Ohlsen abermals entzückt bemerkte. Fortan schob er das Rauschen in seinem Kopf auf die Nachwehen von Nicos Spezial Mischung. Beruhigt löschte er nun das Licht und legte sich, ein paar Schritte später, wieder schlafen. Und während Herr Ohlsen endlich hinabzugleiten schien, in einen Schlaf ohne hervorstechende Träume, wurde er abermals von stetem Rascheln begleitet. Dieses schien ab und an über ihn hinweg zu wehen und all seine Sorgen mitzunehmen.



Was auch immer das sein mochte, dachte Herr Ohlsen schläfrig, nun musste es bis morgen warten ...







Fortsetzung ... nächsten Freitag!




Schlafen Sie gut!



Ihre



Jana Hora-Goosmann



Sie haben Anregungen oder kennen das Geheimrezept von Nicos Spezial Kräutermischung ;-)?



troetgedanken@web.de 


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