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Freitag, 29. Mai 2015

Trötgedanken- Special Nr.42 | Feuilleton Story: "Herr Ohlsen und der Koffer" | Teil 7




Wieso-Weshalb-Warum?
Nachzulesen im ersten Teil (Tröt-Archiv: 17.04.2015)


Playlist Teil 7.
Passend zum siebten Teil hätte Herr Ohlsen (vielleicht) folgendes Lied gehört: 

Becca Krueger - Cover of Ray Charles "Hit the road Jack"

https://youtu.be/OfUDsHtSv88   



7.


„War es das wert?“, fragte Jutta aufgebracht. Sie stand in der geöffneten Restauranttür, eine Hand auf der Türklinke, und sah verloren aus. Der Riemen ihrer Umhängetasche grub sich in das Fleisch ihrer Armbeuge, dies ließ die mit Strasssteinen beklebte Tasche verloren vor und zurück baumeln. Als Jutta sich nun eine Haarsträhne aus dem Gesicht strich, da war ihr rasselnder Atem so deutlich zu hören wie als wäre sie den kurzen Weg vom Tisch zur Tür gerannt.



„Ja!“, antworteten Herr Ohlsen, Luigi und Norbert nun unisono.



Die Drei saßen dicht gedrängt am Katzentisch neben dem Eingang. Vor ihnen stand ein großer Kübel mit Eiswürfeln und alle wirkten, mehr oder weniger, lädiert. Herr Ohlsen hielt einen dursichtigen Beutel mit Eisstücken an seine Wange während Norbert mit einem Taschentuch, in dem sich ebenfalls ein paar Eiswürfel befanden, seine geschwollene Oberlippe betupfte. Und Luigi, der stürzte erst mal ein Schnapsglas von irgendetwas runter, bevor er schließlich in den Eiskübel griff und mit einem Eiswürfel über seinen Unterarm rieb, auf dem sich deutlich der Abdruck einer Zahnreihe abzeichnete.



„Ich bin so was von enttäuscht ...“, murmelte Jutta.



Dies ließ Herrn Ohlsen bitter auflachen.



„Jutta, komm jetzt!“, hörte man Manni nun von draußen rufen. Aber Jutta stand weiterhin unentschlossen in der Tür.



„Was willst du denn noch, Jutta ...“, fragte Herr Ohlsen leise.



„Was meinst du damit, was ich noch will ...?“, stutzte Jutta.



Herr Ohlsen hielt kurz den Atem an.



„Das ist jetzt nicht dein Ernst, oder?“, schwoll seine Stimme schließlich unerwartet laut an, woraufhin Luigi beschwichtigend die Hand auf Herrn Ohlsens Schulter legte.



Seit Herr Ohlsen Jutta am heutigen Tag wiedergesehen hatte, starrte er nun zum ersten Mal ganz direkt in ihre blassgrauen Augen. Was er in ihrem Blick sah, war kalt und verständnislos und ihm war, als würde es ihn von innen heraus zerreißen. Er musste an die verlorene Zeit denken, drei Jahre und ein halbes zerquetschtes, die er damit verbracht hatte einer Person nachzutrauern, die wohl niemals für ihn gedacht gewesen war. Herr Ohlsen legte den Beutel mit Eiswürfeln langsam auf dem Tisch ab und erhob sich, da wurde das Geschrei von draußen noch ein wenig lauter.



„Jutta! Wird’s bald? Komm jetzt, ich muss ins Krankenhaus, meine Nase blutet, kapierst du das nicht?! Mein Mund brennt wie Hölle, die wollten mich vergiften!“, schrie Manni aus dem geöffneten Fenster seines protzigen Wagens.



„Das war es also, was du immer wolltest, Jutta?“, sprach Herr Ohlsen mit fester Stimme weiter. Er fuhr sich mit der Hand über die Wange und starrte kurz auf das Blut in seiner Handfläche. Ein dünner Blutfaden war aus dem Cut unter seinem Jochbein gequollen und rann ihm nun warm über die Wange.



„Dickes Auto, protziges Gehabe und die Einstellung, mit Geld könne man sich alles kaufen – das war es?“, näherte er sich Jutta nun langsam.



„Gleich kannst du nach Hause laufen, Trulla! Und euch, euch zeig ich an, hört ihr?!“, schien sich die Stimme draußen nun schier zu überschlagen.



Herr Ohlsen sah an Jutta vorbei zu Manni, der sich im Wagen sitzend ein blutiges Taschentuch an die Nase hielt und nun demonstrativ den Wagen startete.



„Nicht zu vergessen, die guten Manieren ...“, ergänzte Herr Ohlsen, und war nun eine halbe Armlänge von Jutta entfernt zum Stehen gekommen. Er meinte, dass ihn ihr Duft wie früher wieder um den Verstand bringen würde. Aber da war nichts, außer einer fremden, süßlichen Note. Er dachte daran wie oft er sich in den letzten Jahren vorgestellt hatte Jutta noch einmal küssen zu können, den Arm nach ihr auszustrecken, mit der Hand durch ihre Haare zu fahren und seine Lippen auf ihren Mund zu pressen, bis dieser schließlich sich für ihn öffnen würde, warm und einladend – und alles wäre wieder so wie früher gewesen. Aber jetzt, in diesem Moment, schien FRÜHER verbrannte Erde hinterlassen zu haben. Nichts war mehr wie früher, gar nichts.



„Nicht die klitzekleinste Erklärung, damals?“, fuhr Herr Ohlsen nun weiter fort, „Und jetzt traust du dich, nach all der Zeit, auch noch mit DEM hierher?“, klang seine Stimme heiser.



„Doch nur, weil Manni mit Nico ...“, antwortete Jutta stockend.



„Und dann auch noch ...“, fiel Herr Ohlsen ihr ins Wort,

„ ... aus diesem Grund!“



„Was ist denn so schlimm daran?“, wurde Jutta nun ebenfalls lauter, Luigi und Norbert warfen einander einen vieldeutigen Blick zu.



„Wie bitte ...?“



„Du warst doch mit diesem Laden hier verheiratet, von dir kam doch nichts! Im Leben muss es doch auch mal weitergehen, irgendwann!“



Herr Ohlsen starrte Jutta für einen Moment verblüfft an. Dann griff er in seine Hosentasche und zückte sein Handy.



„Was machst du?“, fragte Jutta.



„Ich rufe dir ein Taxi!“.



„Wieso?“, erstarb in Jutta plötzlich jedes weitere Wort. Just im selben Moment nämlich trat Manni vor dem Lokal aufs Gaspedal und fuhr los.



„Deshalb!“, sagte Herr Ohlsen trocken.



„Hallöchen, das „Casa Egidio“ ...“ sprach er sofort weiter ins Handy und seine Stimme klang erschöpft.



„Danke, die Dame wartet vor der Tür.“



Für einen Moment starrten Jutta und Herr Ohlsen einander nur an.



„Du hast dich verändert ...“, murmelte Jutta.



„Du auch, Jutta, du auch ... und nicht zum Guten ... schade“, sagte Herr Ohlsen leise und beherrscht, und dabei schien sein Mund vollends ausgedörrt zu sein.



„Das war es also, dein letztes Wort?“, fragte Jutta.



Es klang irgendwie frech und hatte die Männer im Raum kurz die Luft anhalten lassen.



„Mach dich bitte nicht lächerlich, Jutta“, sagte Herr Ohlsen.



„Ich meine natürlich mit dem Laden ...“ schob sie schnell hinterher.



Es entstand ein unangenehmer Moment der Stille.



Dein Taxi ist da. Alles Gute, Jutta“, sagte Herr Ohlsen schließlich irgendwann - mehr nicht.





Kurze Zeit später, Jutta hatte bereits trotzig nickend das Restaurant verlassen, hatte Herr Ohlsen sich wortlos auf den Weg zur Toilette gemacht und betrachtete nun schwer atmend sein Spiegelbild über dem Waschbecken. Jetzt musste er mit den Konsequenzen seiner unbedachten Äußerung leben, dachte er. Aber der Verrat gleich zweier geliebter Menschen, hatte ihn einen Moment unvorsichtig werden lassen. Er dachte an Nico und schob knirschend den Ober über den Unterkiefer. Dann fing er an mit zitternder Hand das Blut von seiner Wange zu tupfen und versuchte sich noch einmal an diesen einen Moment zu erinnern, der letztendlich alles ins Rollen gebracht hatte.





„Wie geht es dir ...?“, hatte Herr Ohlsen vor etwas über einer Stunde und noch aus einem ganz anderen Grund, um Fassung gerungen.



Er hatte für Jutta den Stuhl vom Tisch gezogen und darauf gehofft, dass keiner das Beben seiner Hände bemerken möge.



„Gut ... ganz gut ...“, hatte Jutta daraufhin gemurmelt und es vermieden, Herrn Ohlsen direkt anzusehen.



„Ich bin der Manni ...“, hatte sich Juttas Begleitung derweil schwer in den Stuhl gegenüber fallen lassen.



„Sei so gut, und zapf mir mal ein Pils!“, polterte dieser mit einem Seitenblick zu Herrn Ohlsen sogleich dann auch weiter.



„Worum geht es denn? Wir haben noch gar nicht geöffnet“, sagte Herr Ohlsen nun freundlich aber bestimmt, und dabei klopfte ihm das Herz bis zum Halse.





„Nico hat gesagt, das ist in Ordnung ... also zapf mir mal ein Kühles, wird dich schon nicht umbringen!“, sprach Manni nun ungerührt weiter.



Und dann - tätschelte Manni Juttas Hand.



Herr Ohlsen hatte das Gefühl in Zeitlupe mit ansehen zu müssen, wie die speckigen Finger von Manni auf Juttas schwer beringte Hand hinabfuhren.



Und da wurde ihm die erste Ungeheuerlichkeit bewusst: Jutta hatte es - nach allem - doch tatsächlich gewagt, mit einem Mann an ihrer Seite im „Casa Egidio“ aufzutauchen!



Herr Ohlsen ohrfeigte sich in Gedanken für seine Naivität, die ihn kurzzeitig doch tatsächlich hatte hoffen lassen, dass Jutta nach drei Jahren und einem halben zerquetschten, diesen, wenngleich speziellen, Weg gewählt hatte, um wieder in Kontakt mit ihm zu treten. Dies war auch der Grund gewesen, wieso er Jutta und Manni überhaupt Eintritt gewährt hatte - nachdem diese an das Fenster im „Casa Egidio“ geklopft hatten. Herrn Ohlsens Stimme hatte für einen winzig kleinen Moment versagt, und so hatte er sich erst umständlich räuspern müssen, um schließlich nur ein einziges Wort rauszubringen: Hallo.



„Bist du eigentlich dieser Ohlsen?“, riss Manni ihn nun spröde aus seinen Gedanken.



Just in diesem Moment hatten Norbert und Luigi den Restaurant Bereich betreten, und Herr Ohlsen fühlte sich schlagartig besser denn so musste er vielleicht nicht antworten.



„Tag, Jutta!“, nickte Norbert.



„Tag“.



„Krieg ich hier nun ein Bier oder nicht?“, fragte Manni nun schon etwas ungehaltener, „Ich glaub, ich muss mal Nico anrufen, was? Also Jungs, wenn ich den Laden hier erst mal übernommen habe, dann muss das hier aber anders laufen ...!“



Es war, als hätte jemand den Ton abgestellt. Herr Ohlsen sah erst ungläubig zu Jutta, dann zu Norbert und Luigi. Beide sahen aus als versuchten sie das soeben Gehörte noch immer in eine, ihnen geläufige, Sprache zu übersetzen.



„Entschuldigung, ich glaube, hier liegt ein Missverständnis vor ... über wen ... wer schickt Sie gleich nochmal?“, versuchte Herr Ohlsen nun alles daran zu setzen, dass seine Gesichtszüge nicht entgleiten.



„Na, Nico!“, sagte Manni, und es klang wie das Normalste der Welt.



„Ich hab mit Rosi gesprochen ...“, mischte Jutta sich nun ein, „Die beiden möchten den Laden loswerden.“



„Und da drüben, das kommt dann alles raus ...“, fuchtelte Manni nun mit seinen dicken Fingern in Richtung Küche, „Und hier kommen dann überall Spielautomaten hin!“, sah er sich grinsend um.



Über den Raum legte sich eine gespenstische Stille.





„Und dann ... mal sehen, wen von euch Pappnasen ich hier vielleicht gebrauchen kann“, fing Manni nun grölend an zu lachen, und es klang gemein und dreckig.



„Und Madame hier, die ist dann die Dame des Hauses, nicht wahr?“, kniff er Jutta nun in die Wange, dabei spreizte er den kleinen Finger, an dem ein protziger Goldring prangte, unnatürlich weit ab.



Herr Ohlsen meinte, jemand hätte ihm eins übergezogen, so laut hatte es in seinem Kopf gerade gescheppert.



Ein paar Sekunden verharrten alle bewegungslos um einander zu mustern, des Gegners Maß zu nehmen, jeder aus einem anderen Grund. Schließlich, nach einer gefühlten Ewigkeit, löste die Schockstarre sich in hektisches Treiben auf.



„Wie wäre es mit einem kleinen Teller Pasta?“, hatte Luigi plötzlich völlig unpassend, wie Herr Ohlsen meinte, gesäuselt.



„Das ist ein guter Mann, Pasta, nehm ich!“, hatte Manni daraufhin polternd ausgerufen und erneut Juttas Hand getätschelt.



„Du, sag mal, kennen wir uns nicht von irgendwoher?“, hatte Manni Luigi schließlich noch stirnrunzelnd hinterher gerufen.



„Zapf du doch mal das Bier, Herr Ohlsen, und dann kommste kurz in die Küche, okay?“, schien Norbert nun ebenfalls verrückt geworden zu sein, hatte Herr Ohlsen da mit großen Augen gedacht. Aber da Norbert ihm besonders nachdrücklich und fest in die Augen gesehen hatte, nickte er nur.



„Na, geht doch!“, rief Manni nun aus, und lehnte sich zufrieden in seinem Stuhl zurück.



Kurze Zeit später, Herr Ohlsen hatte vor Manni gerade ein frisch gezapftes Pils und vor Jutta eine Apfelschorle abgestellt, betrat Herr Ohlsen nun, vor Wut schwer atmend, die Küche. Auf dem Weg dorthin hatte er sich schon gewundert, das Radio lärmte schon von Weitem vor sich hin - da bot sich ihm ein eigentümlicher Anblick. Luigi und Norbert, mit finsterer Miene nebeneinander stehend, winkten ihn wortlos zu sich.



„Wusstest du das?“, fragte Norbert Herrn Ohlsen nun flüsternd.



„Ob ich davon gewusst habe? Sieht so etwa jemand aus, der davon gewusst hat?“, flüsterte Herr Ohlsen zurück, „Mir ist ganz schlecht vor Wut, was bildet dieser Mensch sich ein?“.



„Wen meinst du, Nico oder diesen Spacko?“, fiel Luigi nun ebenfalls flüsternd mit ein.



Daraufhin seufzte Herr Ohlsen achselzuckend. Nico schien nicht nur ihn, sondern sie alle verraten und verkauft zu haben. Dieser Gedanke schmerzte Herrn Ohlsen unfassbar stark.



„Eins ist klar, für den arbeite ich nicht!“, sagte Norbert nun.



„Meinst du etwa ich?“, rieb Luigi sich mit der Hand übers Gesicht.



„Ich bestimmt nicht ...“, spürte Herr Ohlsen seine Wut immer höher in ihm aufsteigen.



„Hey, was macht ihr denn da hinten, wo bleiben meine Nudeln?“, hörten sie Manni nun von hinten rufen.



„Kommt sofort!“, rief Norbert fröhlich.



Dann sahen alle Drei einander an.





Kurze Zeit später, als Herr Ohlsen mit einem Teller dampfender Nudeln den Weg von der Küche zum Tisch zurücklegte, da hatte er nur ein Bild vor Augen. Nämlich, wie Luigi einen Lappen genommen und mit diesem erst über den Boden und dann über den Teller vor ihnen gewischt hatte. Schließlich - die dampfenden Nudeln hatten mittlerweile auf dem Teller gelegen, Luigi jedoch, hatte noch nicht die wohlduftende Tomatensoße darüber gegossen - hatten alle Drei aus tiefstem Herzen einmal kräftig auf den dampfenden Nudelberg gespuckt.



„Wohl bekommt’s“, sagte Herr Ohlsen nun, und stellte den appetitlich aussehenden Teller vor Manni ab.



Und dann ... fing Herr Ohlsen ein folgenschweres Gespräch an.



„Wir sind alle ganz baff ...“, lächelte Herr Ohlsen schüchtern, „Wie lange seid ihr denn schon im Gespräch, Nico und Sie? Er hatte gar nichts davon erzählt ...“



„Ah, lange, zu lange! Der kam ja gar nicht in die Pötte!“, antwortete Manni nun schmatzend, „Und nichts für ungut, aber was soll er das mit euch besprechen ...“



Herr Ohlsen presste unmerklich die Lippen zusammen. Dann wagte er einen scheuen aber etwas genaueren Blick zu Jutta. Ihre Haare waren heller und die Figur üppiger geworden. Sie saß stumm auf ihrem Stuhl und starrte vor sich hin. Dieses Strahlen, das sie früher mal umgeben hatte, das war weg, dachte Herr Ohlsen verwundert.



„Ganz arme Sau, der Nico ...“, schmatzte Manni nun weiter vor sich hin, „In München war das ja kaum mit anzusehen ...“



„Ach ...“, war Herr Ohlsen nun mehr als verblüfft.



Da hörte er Norbert und Luigi wieder den Raum betreten.



„Schmeckt’s?“, fragte Luigi, und Manni nickte.



„Gleich gibt’s noch was ganz Gutes, Nicos Spezialmischung zum Verdauen!“, sprach Luigi breit grinsend weiter.



„Das solltest du vielleicht lieber nicht ...“, warf Jutta nun mit einem Seitenblick zu Herrn Ohlsen ein.



„Spezialmischung? Da bin ich dabei“, fuhr Manni sich mit der Serviette über den Mund.



Und Herr Ohlsen setzte sich mit versteinerter Miene in Bewegung.



Während er am Tresen das Schnapsglas randvoll mit Nicos undefinierbarer Spezialmischung goss, spürte er die Kränkung in sich immer stärker werden. Wie oft hatte er in den letzten Tagen mit Nico telefoniert, dachte er, und Nico hatte kein einziges Wort über Manni fallen lassen. Norbert, Luigi und er selbst, sie alle hätten es verdient gehabt, von Nico persönlich unterrichtet zu werden. Sie hatten sogar umsonst für ihn gearbeitet. Und nun war Nico telefonisch überhaupt nicht mehr zu erreichen. Herr Ohlsen fühlte sich schlecht und jeder weitere Gedanke an Nico stieß bitter in ihm auf. Da wurde Herrn Ohlsen mit aller Macht bewusst, wie satt er es hatte, von seinen Mitmenschen nicht gesehen zu werden. Er dachte an die neuen Schuhe, die er am Morgen mitsamt dem Karton im Schrank neben den Fächern voll mit Geld verstaut hatte, und pfefferte das Glas aufs Tablett, sodass ein wenig von Nicos Teufelsgetränk über den Rand des Glases schnappte.



Kurze Zeit später, Herr Ohlsen hatte gerade das Glas vor Manni auf den Tisch gestellt, holte er nun tief Luft.



„Und, Vertrag schon geregelt, alles unter Dach und Fach?“, fragte er. Dann beobachtete er gebannt, wie Manni das Schnapsglas an den Mund setzte und in nur einem Zug hinunterstürzte.



Einen winzigen Moment schienen sich alle, sogar Jutta, am Anblick des, mit dem Nachbrennen der Kräutermischung kämpfenden, Manni, zu erlaben.



„Seid ihr irre? Wollt ihr mich umbringen?“, röchelte Manni zwischen zwei Hustern.



„Jetzt sagen Sie bloß, Sie kennen Nicos Spezialmischung etwa nicht!“, sprachen Norbert und Luigi lachend durcheinander.



„Keine Spezialmischung nach Vertragsabschluss ...?“, schob Herr Ohlsen nun hinterher.



„Den gibt es erst nächste Woche ...“, rieb Manni sich mit schmerzerfülltem Blick den Hals.



„Dann ist ja noch alles offen“, sagte Herr Ohlsen, „Um welche Hausnummer geht’s denn eigentlich?“



„Das geht dich gar nichts an, Arschloch. Du bist übrigens der Erste, der hier rausfliegt!“, stierte Manni Herrn Ohlsen nun hasserfüllt an „Was hast du mir zu trinken gegeben, Putzmittel?“ Da musste Herr Ohlsen kurz lachen.



„Na, doch nicht so ein guter Freund von Nico ...?“



„Wir gehen, Jutta“, herrschte Manni diese nun an und stand leicht schwankend auf.



„Gut, dann eben anders ...“, nahm Herr Ohlsen verbal erneut Anlauf, „Was auch immer für einen Preis Sie bieten werden, ich werde derjenige sein, der immer noch mal die Hälfte mehr drauflegt ... geht das in dieses speckige Köpfchen?“, tippte Herr Ohlsen geschmeidig lächelnd mit dem Zeigefinger gegen Mannis Schläfe.



„Fass mich nicht an!“, holte Manni sofort aus, schlug jedoch ins Leere. Herr Ohlsen hatte sich wohlweislich geduckt, worüber er nun selbst verwundert war. Er spürte die fragenden Blicke aller anderen und wusste - nun gab es wohl keinen Weg mehr zurück.



„Wie willst du das denn machen ... mit deinem Gehalt!?“, schien Jutta Herrn Ohlsen plötzlich mit völlig anderen Augen zu sehen, sodass sie sogar aufstand und einen Schritt näher kam. Dieser Umstand versetzte Herrn Ohlsen einen Schlag in die Magengrube, er hasste es, dass Jutta plötzlich so leicht zu durchschauen war.



„Ich habe vor Kurzem ein hübsches Sümmchen im Lotto gewonnen“, sagte Herr Ohlsen nun freundlich - und bis auf Manni, klappte allen Anwesenden im Raum nun die Kinnlade runter.



„Ich scheiß den Laden und dich zu, mit meinem Geld!“, rief Manni nun außer sich.



„Dieser Spruch ist so was von alt ...“, antwortete Herr Ohlsen ruhig.



„Aber immer noch gut! Genau wie dieser Hintern!“, schrie Manni nun weiter und langte mit seiner Hand schwungvoll an Juttas Gesäß, “Bei diesem Hintern musste erst ich kommen! So jemand wie du, der konnte den ja nicht halten!“, griff er nun sogar noch fester zu, sodass Juttas Gesichtszüge schmerzerfüllt entglitten.



Damit war es um Herrn Ohlsen geschehen. Es war als hätte jemand anderer seinen Arm erst zurückgezogen und dann mit voller Kraft nach vorne preschen lassen. Er spürte das Krachen, das sich vom Kiefer seines Gegenübers auf die eigene Hand übertrug, als er mit seiner Faust in Mannis Gesicht abrutschte.



Selbstredend, dass Norbert und Luigi nicht weiter gewillt waren tatenlos zuzusehen.





Und nun, um einiges später, dachte Herr Ohlsen, dass sein Leben ab heute anders werden müsse. Wenn nun schon alles so gekommen sei, wie es war, dann würde er nun hier, auf der Personaltoilette, einen Pakt mit sich selbst schließen:



Er würde etwas Sinnvolles anstellen, mit diesem, seinem Leben. Und vielleicht würde er dem ein oder anderen Menschen ein wenig unter die Arme greifen. Vor allem aber würde er niemals vergessen, dass man mit Geld nicht alles kaufen und der Koffer möglicherweise ganz schnell wieder versiegen könne. Er würde hier und jetzt einen Neuanfang starten, denn er hatte genug Zeit verplempert.

Und dann, wenn die Grundpfeiler errichtet und die wichtigsten Punkte erledigt sein würden – dann würde er den Koffer wieder zurück ins Leben schmeißen.



Wie? Das wusste er noch nicht.



Ein paar Minuten später betrat Herr Ohlsen erneut den Restaurant Bereich. Luigi und Norbert saßen am Katzentisch, vor ihnen standen drei Schnapsgläser und die Flasche mit Nicos Spezialmischung.



„Der Laden bleibt heute geschlossen, haben wir gerade beschlossen“, sagte Nico, und musterte Herrn Ohlsen neugierig.



„Gute Idee!“, antwortete dieser nur. Dann griff jeder wortlos nach einem Schnapsglas.



„Hast du wirklich im Lotto gewonnen, Herr Ohlsen?“, fragte Luigi ungläubig.



„Lasst uns erst trinken ...“, prostete Herr Ohlsen den beiden mit schiefem Grinsen zu.



Und dann warfen alle Drei den Kopf in den Nacken.





Fortsetzung ... nächsten Freitag!





Schlafen Sie gut,



Ihre



Jana Hora-Goosmann





Anregungen oder Sie denken, Sie müssten das "Casa Egidio" beim Gesundheitsamt melden ...?

troetgedanken@web.de




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