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Freitag, 14. Oktober 2016

Nr.86 Von " Wurzeln ... bis ... Zusammenhalt "


Seit meiner Kindheit hatte mein Vater alle Jahre wieder zum Besten gegeben, in seiner Blutslinie gäbe es ein Fitzelchen blaues Blut. 
Nämlich, ein Fitzelchen von den Esterházys. 

Natürlich hatten wir, der Rest der Familie, wann auch immer mein Vater - grinsend - diese legendenumwobene Geschichte angesprochen hatte, einfach nur hemmungslos zurückgelacht. Aber tatsächlich hatte er sich standhaft all die Jahre davon nicht abbringen lassen. 

Und das kam so: 
Seine Mutter(Juristin), meine Großmutter also, war die Tochter einer Frau gewesen, die am Hofe der Gräfin Esterházy (Ungarn) im Dienste gewesen war. Welche Position meine Ur-Großmutter damals an besagtem Hofe innegehabt hatte, ist leider nicht überliefert.

Die Mutter meines Vaters ist sehr früh verstorben, ich habe sie nie kennengelernt - aber zurück zu meiner Ur-Großmutter. 


Diese wurde irgendwann still und heimlich, von einem auf den anderen Tag des Hofes verwiesen, und kurze Zeit später verheiratet.

Es dauerte nicht lange, und die Mutter meines Vaters wurde geboren.

Nachtigall, ick hör dir (aber so was von) trapsen!

Nach dem Tod meines Vaters, im Jahre 1993, war das Thema dann so gar nicht mehr zur Sprache gekommen. Bis meine Mutter irgendwann ein neues Hobby, nämlich die Erstellung unseres Stammbaumes für sich - und demnach auch für uns entdeckt hatte. Und in der Tat - in der Blutslinie meines Vaters war sie auf Ungereimtheiten und fehlende Informationen gestoßen, die sie sich tatsächlich nicht wirklich hatte erklären können. 


Seitdem, wann immer ich also etwas über die Esterházys lese, muss ich leise in mich hineinschmunzeln. Natürlich sind das im Laufe der Jahre lieb gewonnene Spekulationen geworden. Denn - wir waren nicht »dabei«. Man weiß nicht, was damals - mit wem - geschehen ist. Aber ich denke, es liegt in der Natur des Menschen, sich Gedanken über seine Wurzeln zu machen - und sei es auch noch so dubios ;-).

Das erinnert mich an ein Gespräch, das ich mal vor etliche Jahren geführt habe. In diesem Gespräch hatte mir eine - im Leben stehende, intelligente - Person eröffnet, sie denke schon seit Jahren sehnsüchtig, dass sie so gerne Königin Sylvia von Schweden wäre! Ob es mir denn nicht genauso ginge? Ich verneinte ... und schüttelte ungläubig grinsend den Kopf. Erst Jahre später habe ich erst so richtig verstanden, was die Person möglicherweise tatsächlich damit gemeint hatte: Personal ... zum Beispiel.


Spaß beiseite, träumen wir uns nicht alle ab und an mal weg - in ein völlig anderes Leben? Ich habe diese Fähigkeit ja sogar zu(r)m Beruf(ung) gemacht. Und ganz ehrlich, in den heutigen Zeiten ertappe ich mich tatsächlich immer öfter dabei. Im Übrigen lebt von dieser Sehnsucht eine ganze Filmindustrie. Nicht zu vergessen, die bunten Blätter. Und dann die Bücher! Möglicherweise komme ich heute auch deshalb auf dieses Thema, da es in meinem neuen Roman - mit dem ich gerade tatsächlich einen guten Sprung nach vorn getan habe - unteranderem auch darum geht, dass die eine Figur ihre Wurzeln (am liebsten)vergessen möchte, während die andere Figur auf der Suche nach eben diesen ist.

Wenn ich an den Hof der Esterházys (von früher) denke, dann kommt mir als Erstes tatsächlich überhaupt nicht das (Streben nach) Personal in den Kopf. Das wäre ja auch sehr kurzsichtig gedacht. All diese Verpflichtungen, die einen stattdessen ereilen. Ich persönlich möchte ganz und gar nicht, zum Beispiel, das Leben von Königin Sylvia leben. Das Hofprotokoll mit allen Regeln und Verpflichtungen. Und dann müsste man - für das Protokoll - auch noch mit dem »umtriebigen« Ehemann verheiratet bleiben ... wobei wir wieder bei den Esterházys wären ;-).
 

Also nein, nicht der Wunsch nach Personal oder anderen Annehmlichkeiten. In Verbindung mit den jeweiligen Generationen der Esterházys kommt mir viel mehr die Verbundenheit zur Kunst, Literatur und Musik in den Sinn. Diese deckt sich im Übrigen auch mit meinen »restlichen Blutslinien«, und kommt mir dementsprechend natürlich ganz  besonders gut »gelegen«.

Allerdings, mein Vater hatte ab und an auch davon erzählt, dass irgendein entfernter Zweig der Familie zum
»Fahrenden Volk« gehört hatte. Nun, was soll ich sagen, räusper, räusper ... von irgendwoher muss ich es ja haben. Oder?

Ganz ehrlich, Wurzeln, Familie ... das bedeutet doch so unendlich viel mehr, als reine Blutslinie! Wie heißt es doch so schön? Freunde kann man sich aussuchen, Familie nicht. Und ich würde gerne ergänzen, dass Freunde auch zu Familie werden können.





An dieser Stelle möchte ich Ihnen gerne von einem Menschen erzählen, den ich seit  Jahren gerne meine »Zieh-Oma« genannt habe. Genannt deshalb, weil meine »Zieh-Oma« diese Woche verstorben ist. In einem respektablen Alter von 95 Jahren. Damit ist sie übrigens ganze 32 Jahre älter geworden als mein Vater. Was man ihr von Herzen nur gönnen kann!

Tatsächlich hatte ich sie erst seit ein paar Jahren ganz bewusst angefangen, »Zieh-Oma« zu nennen. Viele Jahre später erst, nachdem meine »richtige Oma« bereits lange verstorben war. Diese hatte, trotz regelmäßiger und mehrwöchiger Besuche in Deutschland, bis zu ihrem Tod weiterhin in Tschechien gelebt.

Meine »Zieh-Oma«, hatte mich, durch die Freundschaft meiner Eltern zu ihr und ihrem Mann Kurt, also seit meiner frühsten Kindheit - mal mehr, mal weniger regelmäßig - begleitet. 


Ihr Mann hatte damals ein ortsansässiges Röntgeninstitut geführt, und im Zuge des Praxisalltags meiner Eltern, hatte man sich irgendwann (auch) mittels der Patienten kennengelernt und angefreundet.

Tatsächlich hatte man sich im Laufe der Freundschaft sehr lange gesiezt. Dann, irgendwann sehr viel später, war man schließlich doch zum »Du« übergegangen - um nur kurze Zeit später, skurrilerweise, doch wieder zum »Sie« zurück zu wechseln.

Die »andere«, um einiges ältere Generation meiner »Zieh-Oma«, hatte sich mit dem »Sie« einfach heimischer gefühlt. Und so habe ich meine »Zieh-Oma« tatsächlich bis vor ein paar Jahren noch gesiezt. Klingt seltsam? Abgefahren? Aber es ging!

Und hat der Freundschaft keinen Abbruch getan.

Die große Wende in puncto Siezen, hatte im übertragenen Sinne dann tatsächlich der weltbeste Mann bewirkt. Und zwar, durch unsere spontan stattgefundene Hochzeit. Damals waren außer uns
auf dem Standesamt tatsächlich nur vier weitere Menschen zugegen gewesen: Meine Mutter, meine »Zieh-Oma«, meine Schwiegermutter, und ihr damals noch lebender Lebensgefährte.

Danach hatte meine
»Zieh-Oma« uns allen (wieder und /oder neu) das »Du« angeboten. Was nach all den Jahren dann doch tatsächlich etwas ... interessant, wenngleich aber irgendwie auch wieder sehr lustig war!

Außerdem hatte ich es auch als Kompliment an meinen Ehemann gesehen. Den weltbesten Mann eben.

Es war ein toller Tag. Gestern vor fünf Jahren ...




Wir hatten uns danach alle dem perfekten Essen von Christian Lohse »hingegeben«, und meine »Zieh-Oma« hatte ihn mit ihrem Charme einfach »umgehauen«.

Und auch noch das größte Stück »Gourmet-Schokolade« abgesahnt :-).

Da war sie neunzig Jahre alt gewesen.

Meine »Zieh-Oma« hatte sich bis zuletzt - als es noch ging - nachts den Wecker gestellt, um im Fernsehen Boxen zu sehen ...! Morgens um drei, vier Uhr in der Früh war sie aufgestanden, um mit größtmöglicher Begeisterung zwei Männern beim Boxen zuzusehen. Auf der anderen Seite hatte sie in der Tat aber auch einen solch gesegneten Schlaf, dass sie vor ein paar Jahren noch, als sie mit meiner Mutter für ein paar Tage nach Italien verreisen wollte, am Abflugtag schlichtweg den Wecker überhört hatte. Der weltbeste Mann und ich, hatten damals zum gleichen Zeitpunkt meine Mutter besucht. Nachdem wir bei meiner »Zieh-Oma« sowohl geklingelt, geklopft, angerufen, und schließlich sogar die Polizei informiert hatten - hatte meine »Zieh-Oma« den Polizisten, der sie irgendwann tatsächlich
telefonisch erreicht hatte, mit folgenden Worten abgewatscht:

»Junger Mann, was wollen Sie? Ich sitze hier auf gepackten Koffern!«

Eine andere meiner Lieblings Anekdoten galt übrigens auch ihrem Mann, Kurt. Je länger ich darüber nachdenke, hatte sie diese Anekdote tatsächlich erst zu einer Zeit zum Besten gegeben, da hatte ihr Mann schon lange nicht mehr unter uns geweilt.

Zu seiner aktiven Zeit im Röntgeninstitut also - meine »Zieh-Oma« hatte den Laden damals mit ihm gemeinsam geschmissen, indem sie ihm von der ANMELDE bis über die Patienten bis hin »zum ganzen Rest«, den Rücken freigehalten hatte - zu dieser Zeit also, soll er an einem Tag zu ihr gekommen sein - nachdem er einen Marathon an durchgeführten Mammografien hinter sich gebracht hatte - und gesagt haben:

»Also ... heute kann ich wirklich keine Brüste mehr sehen«.

Daraufhin hatte meine »Zieh-Oma« nur trocken geantwortet:

»Keine Angst. Diese Gefahr besteht heute absolut nicht mehr«.

Kurt war ebenfalls für einen »Eklat« zuständig gewesen, als meine Eltern - wie immer - mit ihm und meiner »Zieh-Oma« mal wieder auf meinen Geburtstag anstoßen wollten. An besagtem Tag hatten sich also alle auf den Weg nach Köln gemacht, wo ich - Anfang Zwanzig - mittlerweile wohnte. Ich werde niemals das lange »Gezeter« meiner »Zieh-Oma« vergessen, vor allem aber das belustigte Grinsen meiner Eltern. Ganze vier Stockwerke hoch, bis zu meiner Wohnung, wo ich mich verwundert übers Treppengeländer gebeugt hatte. Was war passiert? Kurt hatte doch tatsächlich ... die Kuchenform des - wie immer, von meiner »Zieh-Oma« perfekt gebackenen Kuchens - aus der Hand fallen und auf der Straße zerschellen lassen!

Eine Geschichte, über die wir alle (irgendwann) noch sehr lange gelacht haben.

Das Leben anzupacken, war für meine »Zieh-Oma« eine Selbstverständlichkeit. Wie wohl für viele Frauen ihrer Generation.

Auch ... nachdem sie ihr Leben alleine fristen musste. Disziplin war ihr bester Freund. Ich kenne Niemanden, der in einem so hohen Alter noch eine solch akkurate Körperhaltung besaß. Briefe bekam ich von ihr bis letztes Jahr stets mit der Schreibmaschine geschrieben und dem Hinweis, dass sie sich gerade in ihrer »Strafecke« befände, wo noch so viele Papiere und Arbeit auf sie warten würden.

»Kalte Ente«, das Getränk, das auch schon die Frau von Bubi Scholz gerne getrunken hatte, wurde stets in Kristallgläsern als Aperitif kredenzt - vor dem Kaffee oder Tee, wann immer wir uns zum Besuch angemeldet hatten. Der weltbeste Mann und ich, wir hatten die Mischung in Berlin tatsächlich sogar einmal mit einem ihrer »Original Weine« versucht »nachzumischen«. Es hatte nicht geschmeckt  - wie bei ihr. Sie war ihr ganzes aktives Leben lang eine perfekte Köchin und dabei stets ein Fliegengewicht gewesen - um im »Box-Jargon« zu bleiben.

Was ihr aber stets am Wichtigsten gewesen war, das war das Zusammenhalten! Ohne WENN und ABER. Sie musste es schließlich - unabhängig von ihrer einnehmenden Persönlichkeit - wissen. Geflohen aus Nordmähren, hatte sie in damaligen Zeiten so einiges mitgemacht.

 

Ostern 2016

Und so sagen der weltbeste Mann und ich oftmals - wenn das Leben möglicherweise gerade mal nicht so will, wie wir - dass aber (zumindest) unser »Zusammenhaltkonto« zum BERSTEN gefüllt ist!

Und darum geht es doch im Leben. 


Oder?

Und auch, dass man einmal mehr aufsteht, als dass man hinfällt.

Dass man das Leben einfach anpackt. Egal, was für Wurzeln man hat.

Es liegt an einem Selbst.

Schlafen Sie gut,

Ihre

Jana Hora-Goosmann


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