Translate

Freitag, 25. Oktober 2019

Nr. 177 Von ... "Perfekter Moment ... bis ... Fahrrad"



Letzte Woche erlebte ich einen dieser wenigen, perfekten Momente im Leben. Ein Moment, der nur etwas mit purem SEIN zu tun hat - und sonst nichts. Ich fuhr auf meinem Fahrrad durch Berlin, das Wetter und die Luft waren perfekt, ebenso der Straßenbelag, über den meine Reifen in einem Abschnitt regelrecht hinweg zu schweben schienen. Erst ein paar Tage zuvor, waren diese vom weltbesten Mann nämlich ebenfalls perfekt aufgepumpt worden. Ich freute mich einfach nur am Radfahren, das sich hinsichtlich des Verkehrs an diesem Tag mal etwas weniger nervig gestaltete als sonst.


Wohl nur deshalb fiel mir nach etlichen Jahren wieder ein Film mit Meg Ryan ein, "Stadt der Engel". Da gibt es diese Szene mit ihr in der Rolle der Maggie, die  ebenfalls glückselig auf dem Rad fährt, beide Arme gen Himmel gestreckt – kurz bevor es dann zur Katastrophe kommt.



Entgegen meiner sonstigen Pedanterie, was das Anschließen meines Fahrrads betrifft, hatte ich, kaum war ich irgendwann später in unserem Hof angekommen, für einen winzigen Moment darüber nachgedacht, mein Fahrradschloss ausnahmsweise nur durch den Rahmen zu ziehen, und nicht wie sonst noch durchs Vorder- oder Hinterrad. Um anschließend dann alles noch irgendwo festzumachen. Ich ermahnte mich selbst und führte das Schloss also auch noch durchs Vorderrad. Meine Räder sind mittels Schnellspannern befestigt, womit im Falle eines Falles, (zumindest) nur ein Reifen weg wäre.



Schließlich stülpte ich noch einen auffällig orangefarbenen Schutz über den Sattel. Eine Werbeaktion von irgendeinem Reiseunternehmen, den man meinem Rad mal ungefragt auf der Straße übergezogen hatte. Im Übrigen ein hervorragender Schutz gegen Vogelkacke oder Dreck im Allgemeinen. Den Namen des Reiseunternehmens habe ich mir jedoch, nach all der Zeit, trotzdem nicht merken können. Tatsächlich fragte ich mich daraufhin bereits zum zweiten Mal an diesem Tag, ob ich den ollen Sattelschutz nicht vielleicht endlich mal gegen diesen anderen, ebenfalls irgendwo übergestülpten, farblich jedoch weniger auffälligen Sattelschutz austauschen sollte. Mein Gefühl jedoch, womöglich auch einfach nur mein innerer Schweinehund, vertagte die Aktion auf den nächsten Tag, sodass ich alsbald die Wohnungstür aufschloss, um mich ans Kochen zu machen.




Irgendwann später klingelte dann mein Handy - gerade als ich auf allen vieren durch die Küche kroch. Zuvor hatte mich eine verwirrte und scheinbar langsam verendende Wespe, die Küche nach einem schwer zu lokalisierenden Brummen absuchen lassen. Das Insekt endlich im Glas und mit der anderen Hand nach einem Papier hangelnd, ließ ich das Handy also klingeln, den Blick zum erleuchteten Balkon und der geöffneten Balkontür gerichtet, wo ich die Wespe alsbald ins Freie entließ. Daraufhin klingelte das Festnetz, sodass ich atemlos abnahm und die Stimme des weltbesten Mannes hörte: »Komm runter, ich hab dein Fahrrad hier, das wollte gerade eben jemand klauen. Ich habe es an deinem auffälligen Sattelschutz erkannt.«


Und das mir, die immer versucht alles im Blick zu behalten - und trotz offener Balkontür. Ich hastete sofort die Treppen runter und öffnete kurze Zeit später die Haustür, wo der weltbeste Mann,
bepackt mit Handy und Tasche, mit der anderen Hand tatsächlich mein Rad hielt. Den ganzen Weg nach unten hatte ich mir Vorwürfe gemacht, dass ich den auffälligen Sattelschutz zuvor nicht doch noch schnell ausgetauscht hatte. Womöglich war mein Rad den miesen Dieben deshalb wohl noch extra gut ins Auge gefallen.

When you think of it, do it! Einer meiner Leitsätze. Man könnte es aber auch einfach Bauchgefühl nennen.

Aber dann ...

Der weltbeste Mann beglückwünschte mich sofort zu meiner Unterlassung, da er mein Rad scheinbar nur anhand des grellen Sattelschutzes so schnell hatte erkennen können. Er beschrieb wie er, nachdem er die Haustür zum Hof kurz vor 19 Uhr aufgeschlossen hatte, zwei fremden Männern mit jeweils einem Rad begegnet war. Per se, bei zwei zusammenhängenden Häusern, erst mal nicht so wahnsinnig ungewöhnlich. Einen Schritt später war der Blick des weltbesten Mannes dann aber plötzlich auf den grellen Sattelschutz gefallen, den er sofort als den meinigen erkannte.



»Und dann?«, fragte ich, während wir mein Rad ohne Schloss vorübergehend im Keller verstauten. »Dann habe ich gesagt: DAS IST NICHT DEIN RAD!«, sagte der weltbeste Mann mit cooler Miene und schubste mich, zwecks anschaulicher Rekonstruierung der Geschehnisse, ein Stück nach hinten. »Und dann ...«, fuhr er fort, »hab ich kurz mal die Faust sprechen lassen. Leider war ich ja bepackt, ansonsten ...«, blitzten seine Augen auf. Woraufhin ich sofort und absolut einverstanden nickte. 




Manchmal muss man scheinbar die Sprache des Gegenübers sprechen, dachte ich - grundsätzlich gegen jede Gewalt. Aber um ehrlich zu sein, in Gedanken habe ich dem Typen ebenfalls eine gepfeffert – und den weltbesten Mann anschließend umso dankbarer geherzt und gebusselt.



Nach diesem Abend – an dem ich noch zig mal in den Hof hineinlauschte oder beobachtete, ob die Lichter des Bewegungsmelders angingen,




Aushänge als Info für meine Nachbarn fertigte und an alle Türen hing, mich mit einigen von ihnen per Haus-Chat vernetzte – denn ein anderes Rad war ja unwiederbringlich verloren, wenngleich auch ein anderes als ursprünglich gedacht – rief ich am nächsten Tag unsere Hausverwaltung an. Unser Gebäudekomplex ist zwecks umfassender Bauarbeiten gerade stark in Mitleidenschaft gezogen, weshalb fast alle Türen, trotz vielseitiger Ermahnungen, die meiste Zeit offenstehen. Ein Eldorado für potenzielle Diebe also, die tagsüber gemütlich alles auskundschaften können, um im Schutz der angebrochenen Dunkelheit dann zur Tat zu schreiten. In diesem Fall schienen sie zwei Damenräder gebraucht zu haben.



»Na, dann weiß ich ja, was ich im nächsten Trötgedanken lesen werde«, sagte daraufhin die fröhliche Stimme unserer Hausverwaltung, am anderen Ende der Leitung ...




Nach all diesem dankbaren Aktionismus jedoch, denn mein Rad war ja (noch) da, beschlich mich immer öfter auch ein mulmiges Gefühl. Der weltbeste Mann war an dem Abend zwar in diesem Fall zur richtigen Zeit am richtigen Ort gewesen, genausogut hätte es aber auch andersrum sein können. Zur falschen Zeit am falschen Ort. Einer der beiden Diebe hätte zum Beispiel ein Messer zücken können ... und, und, und!




Womöglich wäre mein Rad mit dem auffälligen Sattelschutz weniger offensichtlich ins Auge gefallen. Womöglich hätte der weltbeste Mann das Rad mit einem anderen oder ohne Sattelschutz wahrscheinlich nicht (so schnell) erkannt. So oder so, irgendetwas ist eben immer. Und kein Schloss der Welt ist sicher, das ist schon mal klar! Egal was die Werbung einem verkaufen möchte.




 

Im Laufe meines Lebens sind mir schon ein paar Fahrräder geklaut worden. Und in meiner Anfangszeit in Berlin wurde ich mal am helllichten Tag überfallen. Vor etlichen Jahren, während eines längeren Amerikaaufenthalts, wurde in unserer Abwesenheit in das Appartement eingebrochen, das ich damals mit einer Kollegin bewohnte. Vom materiellen Verlust und Ärger mal abgesehen - all diese Ereignisse eint noch ein weiterer, unsichtbarer und vor allem völlig immaterieller Verlust. Man verliert im übertragenen Sinne seine "Unschuld" oder auch ein Stück guten Glaubens. 



Gleichzeitig macht sich ein bitterer Geschmack in einem breit. Wie zum Beispiel hinsichtlich der Kamera, die mir damals im Zuge des Einbruchs in Los Angeles gestohlen worden war. Es war die Kamera meiner Eltern gewesen, ein ganz normales Standardmodell. Viel wichtiger war, was sich auf dem Film in der Kamera befunden hatte: Die letzten Fotos meines Vaters, auf seiner letzten Reise durch Amerika, wo er dann völlig unerwartet verstarb. Damals hatte meine Mutter es bis zu meiner Reise emotional noch nicht geschafft, den Film zu Ende zu knipsen und die Fotos entwickeln zu lassen. Also hatte sie mir die Kamera ausgehändigt und gemeint, dass es doch schön sei, wenn ich die zweite Hälfte des Films in Amerika zu Ende knipse – sozusagen komplettiere. Der Rest ist Geschichte ... shame on you!



Aber wieder zurück zu dem Abend, an dem der weltbeste Mann irgendwann ablehnte, für mich wieder und wieder nachstellen zu müssen, wie er sich mein Rad zurückgeholt hat.



Irgendwann sagte er dann: »Na ja, letztendlich es ist ja nur ein Rad.«

Da hatte ich sofort wieder an diesen einen, für mich an diesem Tag so besonderen Moment zurückdenken müssen. Sodass ich, in Anlehnung an Gertrude Stein, vehement erwiderte:

»EIN FAHRRAD IST EIN FAHRRAD IST (M)EIN FAHRRAD ...!«





Schlafen Sie gut!
 

Ihre


Jana Hora-Goosmann


Besuchen Sie die Trötgedanken auch auf Facebook:
https://de-de.facebook.com/troetgedanken/

2 Kommentare:

  1. das mit der geerbten Kamera ist sehr schade umd die Erinnerungen, danke fürs erzählen...
    lg wolfgang

    ps: schön, dass dein weltbester mann überlebt hat...;-)............

    AntwortenLöschen
  2. Herzlichen Dank für das Feedback! Ich freue mich von meinen Lesern zu hören :-).

    AntwortenLöschen