Liebe Leserinnen! Liebe Leser!
Seit Corona ist das Leben anders.
Klopapier scheint mancherorts das "neue Gold" zu sein. Und ... in dieser Krise scheint der ein oder andere Mitmensch seine guten Manieren oder (auch noch) den Rest des Verstandes verloren zu haben. Wie auch immer man mit dieser Zeit umgehen mag, ob man sie gar leugnet, kleinredet, sich von ihr einschüchtern lässt oder an ihr wächst: Es ist nichts mehr so, wie es mal war.
Willkommen also zu einer neuen Trötgedanken-Rubrik, den "Corona-Storys". In nächster Zeit können Sie hier blitzschnell in fremde Leben ein- und wieder auftauchen. Jeder Protagonist lebt seine ganz eigene Corona Geschichte und es wird an Ihnen sein, die jeweiligen Geschichten zu Ende denken. Je nach Gusto. Gerne auch mit einem Augenzwinkern.
Ihr fertig gepackter Koffer mit den zwei Business Outfits stand seit letzter Woche unberührt im Schlafzimmer. Anfangs noch ungläubig hoffend, war es dann irgendwann zur Gewissheit geworden: Bis auf Weiteres hatte es sich mit ihren regelmäßigen Flügen in die USA erledigt. Ein Virus, ein ausländisches Virus, wie der Präsident der Vereinigten Staaten nicht müde geworden war zu betonen, hatte Susanne einen Strich durch die Rechnung gemacht. Plötzlich und auf unbestimmte Zeit, konnte sie nur noch Susanne sein. Und nicht auch Susi. Süüuuussiiii, so pflegte Jeff, ihr Kollege in Übersee, sie liebevoll nach getaner Arbeit zu nennen, nach ewig langen Meetings in heruntergekühlten Konferenzräumen. Meist taten beide dann noch so, als würden sie schnell noch ein paar letzte Notizen durchgehen. Susi, das klang aus Jeffs Mund wie die Angebetete aus einem Johnny Cash Song. Einmal, tatsächlich nur ein einziges Mal, war Susanne auf ihrem Rückflug nach Deutschland ein beklemmender Gedanke gekommen. Nämlich, dass es zwischen Jeff und Susi womöglich ähnlich melancholisch zu Ende gehen könnte, wie in einem dieser Songs. Schnell hatte sie den Gedanken jedoch wieder beiseitegeschoben, da der DEAL, wie der amerikanische Präsident solch eine unausgesprochene Vereinbarung womöglich nennen würde, ein anderer war: Keine Gespräche über die Zukunft. Keine Gespräche über Ehepartner. Keine privaten Textnachrichten oder Kontakt über soziale Netzwerke. Dafür aber eine garantiert gute Zeit. Win-Win-Situation. Gab es das eigentlich wirklich? Zwei Gewinner? Seit zwei Jahren waren Susi und Jeff nun schon ein eingespieltes Team gewesen, wenn es darum ging, das Büro stets unabhängig voneinander zu verlassen. Aber meist stand Jeff schon wenig später vor Susi im Hotelzimmer und lockerte den Knoten seiner Krawatte. Zuvor hatte Susi sich verantwortungsvoll wieder in eine gute Mutter, Susanne, verwandelt, um ihrem Sohn per skype einen schönen Tag zu wünschen. Irgendwann hatte Susannes Mann sich angewöhnt, den Hörer gleich wortlos an Lukas weiterzureichen. Und nun war alles anders. Susannes vierzehntägliche Abstecher zum amerikanischen Haupthaus – erst mal auf unbestimmte Zeit gestrichen. Stattdessen Videokonferenzen und Homeoffice. Und nun auch noch Vollzeitmutter, während der Ehemann, ebenfalls im Homeoffice, gleich nebenan im Zimmer saß. Es würde ihr wohl nicht mehr lange gelingen, den Blicken ihres Mannes auszuweichen. Anfänglich waren diese noch liebevoll und nachsichtig gewesen. Jetlag, einen Haufen Arbeit und Druck, Susanne hatte immer eine Erklärung gefunden. Bis die Blicke irgendwann vorwurfsvoll, und schließlich kalt geworden waren. Da hatte sie erst recht gehofft, mit allem einfach immer so weiter machen zu können. Nun jedoch war sie, aus heiterem Himmel und mit aller Macht dazu gezwungen worden, innezuhalten. Susi hatte keinen Platz in Susannes Leben, als Mutter eines siebenjährigen Sohnes und Ehefrau. Als Susanne das vor ein paar Stunden zum ersten Mal so richtig bewusst geworden war, da hatte sie heftig und unkontrolliert begonnen zu zittern. Also war sie ins Bad gestolpert, wo sie sofort verbissen begann, sich akribisch die Hände einzuseifen. Dieser ihr so altbekannte, aus tiefstem Herzen verhasste Automatismus, hatte sie beim Schrubben ihrer Hände nach Luft ringen lassen. So hatte vor vielen Jahren mal alles angefangen, das mit der Zwangsstörung und den Panikattacken. In einem gefühlt anderen Leben. Erst vor ein paar Tagen hatte sie mit böser Vorahnung noch darüber gelesen, dass eine Pandemie womöglich alte Zwangsstörungen wieder aufleben lassen könnte. Ein ausländisches Virus, pochte es nun wieder in Susannes Kopf. Für Susanne verkörperte Jeff das ausländische Virus. Ungewollt heftig hatte es sich seit zwei Jahren in ihren Kopf und Körper gefressen, schien ihre Gedanken nun regelrecht ausgehöhlt zu haben. Vor ein paar Stunden schließlich, als Susanne in Gedanken mit Susi rang, hatte sie nicht mehr an sich halten können. Sie brach den DEAL. Als sie mit kalten Händen Jeffs privates Facebook Profil aufrief, da war ihr erst kurz zum Schmunzeln gewesen. Ihr Blick war über einen der vielen Kommentare unter einem seiner Postings gehuscht: "Wann hustet der Präsident?", hatte da jemand geschrieben. Dann jedoch, war ihr schlagartig alles vergangen. Just in diesem Moment nämlich, hatte Jeff ein Foto von sich und seiner Frau hochgeladen. "Waiting for the coronavirus test results! Keep your fingers crossed!", stand über dem Foto, das Jeff mit einer aparten Frau zeigte, Jeffs Ehefrau. Susanne wusste auch nicht wie, aber für die Susi in Amerika, da hatte es zwei Jahre lang ganz wunderbar funktioniert, die Frau an Jeffs Seite einfach auszublenden. Genau wie ihren eigenen Mann, für den sie immer nur Susanne war. Susanne, diese Frau, die, sobald sie amerikanischen Boden betreten hatte, regelrecht von ihr abfiel. Zum Vorschein kam Susi, die für jede Situation und jede Herausforderung ein verschmitztes Lächeln übrig hatte. Und so war die Konferenzschaltung vor zwei Tagen von ihrem heimischen Arbeitsplatz, für Susanne tatsächlich eine einzige Qual gewesen. Sie hatte währenddessen tatsächlich völlig irre an sich halten müssen, um nicht plötzlich ein paar private Worte an Jeff zu richten. Dachte er an Susi? Stattdessen hatte sie sich in ihren Ausführungen nur verhaspelt und war sich fahrig über die schwitzige Stirn gefahren, sodass ihr amerikanischer Chef schon besorgt nachgehakt hatte, ob Susannes Test wirklich negativ ausgefallen sei? Vor Corona, da hatte Susanne in Deutschland eine beschwingte Leichtigkeit begleitet. Nun würde sie Jeff vielleicht sehr lange oder sogar nie wieder zu riechen und zu spüren bekommen. Womöglich würde Susanne sich nie wieder in Jeff und Susi verlieren können.
"Mama, ich muss mal", hörte Susanne plötzlich die piepsige Stimme ihres Sohnes durch die geschlossene Badezimmertür. "Gleich, mein Schatz", zwang sie sich, zu lächeln.
Als sie die Tür kurz darauf aufschloss und in die Augen ihres Sohnes schaute, da war ihr plötzlich, als wäre sie sich, nach sehr langer Zeit, wieder selbst begegnet.
Ende
Schlafen Sie gut ... und bleiben Sie gesund!
Ihre Jana Hora-Goosmann
Besuchen Sie die Trötgedanken auch auf Facebook:
https://de-de.facebook.com/troetgedanken/
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen