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Freitag, 7. November 2014

Von " Mauerfall bis 25 Jahre Wiedervereinigung "



Am 9. November 1989 besuchte ich gerade das erste Schuljahr der Schauspielschule „Theater der Keller“ in Köln. Die Bilder des Mauerfalls sah ich mir auf einem sehr kleinen Schwarz-Weiß-Fernseher an, mit klobigen Knöpfen zum Umschalten. Den hatte ich meinen Eltern, wie noch so einiges mehr, beim Auszug abgeschwatzt, da dieser sowieso ausrangiert im Haus herumgestanden hatte.

Am Morgen nach dem Mauerfall nippte ich also in meiner ersten eigenen Wohnung an meiner Kaffeetasse und dachte daran, wie meine Mitschüler des Gymnasiums, noch zu Zeiten des Eisernen Vorhangs, ohne mich mit dem Zug auf Klassenfahrt nach Berlin gefahren waren.

Meine Eltern waren infolge ihrer / unserer Republikflucht aus Prag in Abwesenheit nämlich zu jeweils ein paar Jahren Gefängnisstrafe verurteilt worden. (Tröt-Archiv: Nr.5 / 27.06.2014 und Nr.19 / 03.10.2014)

Damals fuhr man, wenn man mit dem Zug nach Berlin fuhr, ein Stück durch die damalige DDR - demnach sozialistisches Territorium. Und demnach auch für mich gefährlich. Es sei denn, meine Eltern hätten mich loswerden wollen ...

Und auch meine Eltern konnten West-Berlin vor der Wende nur mit dem Flugzeug besuchen. Die DDR hätte sie ausliefern können. 

Als die Kollegen des Ärztekongresses, dem meine Eltern beiwohnten, das Pergamonmuseum (Ost-Berlin) besuchten, da mussten meine Eltern sich ein anderes Programm überlegen.

Und als sie am Abend an einem Empfang im Reichstag teilnahmen, da blickten sie nur kurz zu den bunten Lichtern der Stadt. Schon einen Moment später starrten beide zur dunklen Spree - dorthin, wo die damalige Grenze verlief. Und beide fanden sich erneut darin bestätigt, alles zurück und hinter sich gelassen zu haben.

Für meine Eltern bedeutete der Mauerfall vor allem eines: Nach Jahren der gedanklichen Disziplin, in der sie sich ein neues Leben in einem anderen Land aufgebaut hatten und sich den Blick-Zurück verbaten, durften sie plötzlich wieder den Gedanken zulassen, dass Prag - ihre Goldene Stadt und meine Geburtsstadt - zu besuchen nun tatsächlich wieder möglich wäre.

Mir bescherte der frische Mauerfall übrigens - außer dem Gefühl, dass vielleicht doch (fast) alles möglich sei - eine witzige Anekdote:

Damals, kurz vor meinem Start auf der Schauspielschule, hatte ich für einen wirklich sehr symbolischen Obolus, das Auto einer Freundin meiner Eltern übernehmen können.

Ist Ihnen die niederländische Automarke DAF noch ein Begriff?

Diese Autos mit Variomatic? Nur zwei Gänge: Vorwärts- und Rückwärtsgang! Und aufgrund des Wendegetriebes im Vorwärts- und Rückwärtsgang gleich schnell!

Mein DAF war zudem noch quietschgelb und an beiden Seiten, da verlief jeweils einen schwarzer Rallyestreifen ... yeah ;-)!

Mit diesem Auto ist man jedenfalls definitiv aufgefallen! Ob man nun wollte oder nicht ...

Dann fiel die Mauer ... und das mit der Verwechslung, das ist mir tatsächlich erst ein paar Tage später so richtig bewusst geworden!

Der DAF hatte nämlich, für den ungeübten Blick, ziemlich viel Ähnlichkeit mit einem Trabbi!

Und so kam es, dass mir kurz nach dem Mauerfall tatsächlich wildfremde Menschen anfingen, auf der Autobahn zuzuwinken!

Beim ersten Mal, da dachte ich noch, ich hätte mich wohl verguckt! Dann aber fing es an sich zu häufen. Und die Möglichkeit, trotz eines eindeutigen West-Kennzeichens, als "Ossi" ge- und begrüßt zu werden, kam mir irgendwann tatsächlich immer wahrscheinlicher vor.

Und so fing auch ich irgendwann an, vor Freude strahlend das Winken zu erwidern ...

Eine der Anekdoten, die meine Mutter gerne über mich erzählt, handelt darüber wie meine Eltern mir, dem damals kleinen Mädchen, mal versuchten die deutsche Teilung zu erklären.

Daraufhin lautete meine messerscharf beobachtete Antwort:

"Da haben wir aber Glück gehabt, dass ihr in den "richtigen Teil" von Deutschland geflohen seid"!

Das bringt meine Mutter noch heute zum Lachen.

Tja, alles andere, hätte in unserem Fall ja nun wahrlich auch nicht viel Sinn gemacht ...

Und so hatte Berlin - aus der Distanz betrachtet - dann auch immer etwas Verklärtes für mich. Unabhängig davon, dass in dieser Stadt tatsächlich auch Geschichte geschrieben wurde.

Denn da waren zum Beispiel die Ostdeutschen, die sich mit dem Sozialismus ja bestens "auskannten" und Prag - für den Ostdeutschen ja frei zugänglich - genauso zu schätzen wussten, wie ein Prager.

Der Ausspruch: "Prag ist ja eigentlich wirklich schön, wenn da nicht überall diese abgeplatzte Fassade wäre" - habe ich übrigens immer nur in Westdeutschland zu hören bekommen.

Und so könnte es gut sein, dass ich, die Ex-Kölnerin im Herzen, im Jahr 2001 unbewusst auf Spurensuche gegangen bin, mit meinem Umzug nach Berlin.

Angefangen im Westen Berlins habe ich schließlich den Großteil der letzten dreizehn Jahre im Ostteil verlebt. Bis heute. Und nach wie vor zum Leidwesen des weltbesten Mannes. (Tröt-Archiv: Nr.8 / 18.07.2014)

Und noch immer, wie ich finde, ist das Ost-West-Thema brandaktuell. Zumindest für mich - auch unabhängig von dem sich nun nahenden Datum des Mauerfalls.

Sei es zum Beispiel, dass es mit dem weltbesten Mann weiterhin tagtäglich Diskussionen gibt, wie sehr „ER“ wieder in den Westteil der Stadt "rübermachen" möchte!

Sei es, dass ich im Laufe meiner Berlin Zeit erfahren habe, dass das Wort „Wessi“ und „richtig betont“, ein richtiges Schimpfwort sein kann.
Das gilt übrigens auch umgekehrt.

Sei es, dass ich erlebt habe, dass manch ein „Ossi“ ein noch weitaus größerer Kapitalist sein kann als mancher „Wessi“ ... was man übrigens so oder so sehen kann ;-).

Sei es, dass ich nach ein paar Jahren in Berlin erkannt habe, dass Ostdeutschland nichts mit Tschechien zu tun hat - und Sozialismus nicht gleich Sozialismus ist.

Und dass der Ostteil Berlins nicht für den gesamten ehemaligen Osten steht, sondern einen absoluten Sonderstatus innehat - und damit neue, einhergehende Probleme.

Und ich rede nicht davon, dass der Prenzlauer Berg mittlerweile größtenteils in „Schwaben-Hand“ ist ... ;-)

Und zu guter Letzt – dass die Mauer noch in vielen Köpfen, auf beiden Seiten zugleich, besteht.


Dass Herr Gauck kürzlich (mal wieder) von der Möglichkeit der freien Meinungsäußerung gebrauch gemacht hat, das befürworte ich!

Denn - er war dabei.

Auch wenn manch einer der Meinung ist, als Bundespräsident müsse man sich neutral verhalten.

Ich selbst habe schon miterlebt, wie selbstverständlich es für den ein oder anderen Ostdeutschen ist auch weiterhin das zu wählen, was man zu DDR Zeiten schon kannte - nur unter einem anderen Namen.

Gott sei Dank leben wir ja in einer Demokratie, und - wenn es denn sein muss - so sei es!

Umgekehrt habe dann aber ich auch die Freiheit zu sagen, was ich davon halte:

Zum Beispiel, dass ich es absolut nachvollziehen kann, dass es für ehemalige DDR Bürger die unter der DDR-Diktatur verfolgt und/oder drangsaliert wurden, tatsächlich wie ein Schlag ins Gesicht wäre, würden eben diese Menschen wieder eine Führungsposition innehaben. 25 Jahre danach.

Da braucht es vielleicht doch noch mindestens eine Generation mehr.

Denn der Mensch vergisst und die Erinnerung ist meist schöner.

Nur so kann und will ich mir eigentlich nur erklären, was ich die Tage eine ehemalige Bürgerin der DDR in das Mikro der ARD habe sagen hören:

„Manchmal wünsche ich mir die DDR zurück ... „


Ganz ehrlich, mir ist tatsächlich der Kiefer runtergeklappt!


Zuvor nämlich, hatte ich mit dem weltbesten Mann im Auto - auf dem Weg vom Westen in den Osten natürlich - noch folgenden Dialog:

Ich: „Ich verstehe ja auch, irgendwie, dass man sich als ehemaliger DDR Bürger nicht völlig absprechen lassen möchte, dass alles in dem Leben, das man vor der Wende geführt hat, nur schlecht war!
Grundsätzlich scheint es aber wohl auch - vor allem mit ein paar Jahren Abstand - auf die Prioritäten anzukommen! Denn auch im Sozialismus konnte man (wohl) ganz gut (mit) leben. Wenn es einem nichts „ausgemacht“ hat, sich an die Spielregeln zu halten. Aber Demokratie ist doch das höchste Gut!“

Er: „Ja, ja ...Die Zeit des Nationalsozialismus war auch nicht nur schlecht und grausam!“

„ICH“ sieht entsetzt zu „ER“.

Dann versteht „ICH“.

Deshalb ... nach 25 Jahren Wiedervereinigung, nach all den Tränen vorher und all den Tränen nachher, nach all den verschiedenen, aus der damaligen Diktatur resultierenden Schicksale, nach all den Menschen, die sich dieser Diktatur zu widersetzen versuchten, und all denen, die im Versuch zu fliehen ermordet wurden, nach all denen, die unter Druck gesetzt, gebrochen, entzweit, und ihrer Gedanken beraubt wurden ... nach all diesen Menschen ...  und nach all den Jahren, plus den letzten 25 ... hoffe ich:

Da geht doch (wohl) hoffentlich noch etwas (mehr) ...?



Schlafen Sie gut!


Ihre

Jana Hora-Goosmann





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