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Freitag, 4. Oktober 2019

Nr. 174 Von ... "Karel Gott ... bis ... mein Vater"



Sehr geehrter Herr Gott,
 

dies ist der Brief an Sie, den ich nie geschrieben und abgeschickt habe. Und nun, da Sie diese Welt für immer verlassen haben, wird mir umso mehr bewusst, dass Sie mich in meinem Leben - von Kindes Beinen an - irgendwie begleitet haben. Und damit meine ich nicht (nur) Ihren Welthit "Biene Maja". Wir haben uns nie persönlich kennengelernt, lieber Karel Gott. Aber Sie kannten meinen Vater!

Mein Vater und Karel Gott, 1967 vor dem Blumenlogo des legendären New Frontier Hotels in Las Vegas.

Damals ... 1967, auf Ihrer großen Amerika Tournee in Las Vegas, hat mein Vater Sie als Tournee Arzt begleitet. Zu der Zeit traten Sie im selben Hotel und Programm auf, wie das legendäre "Rat Pack", Frank Sinatra, Dean Martin und Sammy Davis Jr. Während Sie noch bis ins Jahr 1968 in Amerika blieben, war mein Vater bereits früher, nach sechs Monaten, nach Prag zurückgekehrt. Demnach schaffte er es gerade noch so, zu meiner Geburt im Dezember, wo er dann gesagt haben soll: »Wir nennen sie Jana!« Meiner Mutter, ebenfalls Ärztin, hatte er aus dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten ein Kleid mit Hahnentrittmuster und einen gesteppten Morgenmantel mitgebracht. Dieser Morgenmantel war ein fluffiges Träumchen mit aufgedruckten Rosen gewesen, was meinen Vater damals wohl einen Großteil seines Gehalts gekostet haben musste. Als Baby hatte mich das jedoch nicht davon abgehalten, mich beim Bäuerchen mal unauffällig und punktgenau in eine der Seitentaschen zu erbrechen, was meine Mutter erst vor ein olfaktorisches Problem stellte, und schließlich, nachdem sie die Hand in die Tasche steckte, eine haptische Überraschung beschert hatte. 

Meine Mutter mit ... wem wohl?

Den Morgenmantel, der so aussah wie aus einem Doris Day Film, hatte meine Mutter noch viele Jahre später aufgehoben. Für meinen Vater jedoch, muss der Aufenthalt in Amerika – seine erste reale Begegnung mit dem (Hardcore)Kapitalismus also - eine Art Erwachen gewesen sein. Wieder zurück in Prag, war es für ihn im Laufe der Zeit dann etwas schwierig geworden. Als 1968 dann auch noch die Russen einmarschierten, ließen meine Eltern, meine Schwester und mich im Gepäck, deshalb alles zurück. Mutig und nach vorne schauend, sollte Deutschland von da an unsere neue Heimat werden. Gestern, am Tag der Wiedervereinigung, musste ich deshalb wieder an meinen Ausspruch als Kind denken: »Da haben wir aber Glück gehabt, Mami, dass wir in das "richtige Deutschland" geflohen sind!«
Für Sie, Herr Gott, war garantiert auch nicht alles leicht. Sie wollten Ihren geliebten Beruf auch im Ausland ausüben, wo man Ihnen aufgrund Ihres Heimatlandes und des (damals) vorherrschenden Regimes einen bitter-süßen Stempel verpasst hatte. Gleichzeitig wollten Sie Ihre tschechischen Fans und Landsleute nicht im Stich lassen, wie ich Sie mal in einem Interview habe sagen hören. Ich habe über Sie gelesen, dass Sie damals lange befürchteten, man könne Ihnen etwas anhängen oder zum Beispiel gar etwas ins Auto schmuggeln, damit eine Festnahme begründet gewesen wäre.

1967, Mein Vater und Karel Gott, die sich auf Ausflügen abwechselnd fotografierten.

Die Zeit verging und Ihre Stimme, die goldene Stimme aus Prag, war aus beiden Teilen Deutschlands nicht mehr wegzudenken, als Sie schließlich ein Konzert in der Beethovenhalle in Bonn gaben. Meine Eltern, nun deutsche Staatsbürger und praktizierende Ärzte in einer gemeinsamen Praxis, hatten Sie, lieber Karel Gott, dort in der Pause in Ihrer Umkleide besucht. Ich weiß noch, wie ich als kleines Mädchen zuvor tagelang gequengelt hatte, man möge mich doch bitte mitnehmen, woraus jedoch leider nichts wurde, und stattdessen meine siebeneinhalb Jahre ältere Schwester mitdurfte. Dafür hatte mein Vater Jahre später vehement darauf bestanden, dass ich als Teenager meine Eltern nach Frankfurt zu einem Frank Sinatra Konzert begleitete. Erst während des Konzerts war mir, mit Blick auf das entrückt-gerührte Gesicht meines Vaters plötzlich klar geworden, was dieser Abend für ihn wohl tatsächlich bedeutet haben musste. 1967 hatte er, dank Ihrer Tournee und "in einem anderen Leben", Frank Sinatra live und hautnah in Las Vegas erlebt. Die Vorboten eines neuen Lebens.

Das Leben meines Vaters endete jedoch leider bereits im Jahre 1993. Ironie des Schicksals waren der Ort und Tag, an dem er verstarb. Auf einer Reise durch Amerika ... an seinem dreiundsechzigsten Geburtstag.
 



Abschiedswidmung von Karel Gott an meinen Vater. Übersetzung: Erinnere Dich nur daran, was in Nevada schön war.

Apropos FEHLEN ... seit ich denken kann, lieber Karel Gott, komme ich am Weihnachtsabend erst so richtig in festliche Stimmung, nachdem ich bei meiner Mutter eine von Ihnen eingesungene Schallplatte mit tschechischen Weihnachtsliedern aufgelegt habe. Ohne Ihre Stimme mit Kinderchor, da fehlt mir am Weihnachtsabend etwas.
Tatsächlich lag mein Mann mir bereits seit längerer Zeit in den Ohren, ich solle Ihnen doch mal schreiben, was ich oftmals verneinte oder lapidar auf später verschob. Diesen Sommer hatte ich dann tatsächlich ein paar Zeilen an Sie begonnen, letztendlich jedoch wieder verworfen. Mein Mann, der weltbeste Mann, hatte besagten Abend anschließend "Bohemian Friday" getauft. Ich weiß nicht woran es lag, womöglich (auch) an der damit verbundenen Erinnerung an meinen Vater, dass mir, der "Deutschen mit tschechischer Seele", der Schauspielerin, Autorin und Bloggerin zur Abwechslung tatsächlich schlichtweg die Worte fehlten.
Erst letztes Jahr, als ich mal wieder für eine deutsche Produktion in Tschechien gedreht hatte, war mein Hotel nicht unweit von Ihrem Haus entfernt gelegen. Den Blick in die Baumwipfel am Hang gerichtet, hatte ich Ihnen in Gedanken auch weiterhin eine stabile Gesundheit gewünscht. Die Jahre zuvor hatten Sie ja bereits Etliches überstehen müssen. Ich schaute tschechisches Fernsehen, um mein Tschechisch aufzupolieren, da besuchten Sie im laufenden Bericht eines Promi Formats gerade einen Kollegen und Freund, um ihm zum Geburtstag zu gratulieren. Nun sind Sie selbst in diesem Jahr 80 Jahre alt geworden. Im Zuge dessen, gab es natürlich etliche Berichte mit Ihnen und über Sie, sodass ich tatsächlich erst vor Kurzem aus einem Interview erfuhr, dass Sie eigentlich schon immer leidenschaftlich gern auch Schauspieler sein wollten. Ihren Worten entnahm ich ehrliches Bedauern, dass dieser Weg sich nie so richtig für Sie ergeben hatte. Denn wenn Sie mal die Gelegenheit bekommen hatten in einem Film mitzuwirken, dann mimten Sie stets einen Sänger. Diesen Aspekt fand ich interessant, fast schon tröstlich. Dass ein Mensch mit solch einer Stimme - die mir im Jazz übrigens noch besser gefiel, was in Deutschland jedoch leider nur wenige hören wollten - ein Mensch mit solch einer Karriere, und dann auch noch begabt als Maler, dass (auch) so jemand, einen nicht ausgelebten Traum oder eine nicht erhörte Sehnsucht in sich trug.

Nun, lieber Karel Gott, bringen Sie bestimmt schon wieder den Himmelschor zum Schwärmen. Und wenn es sich ergibt ... grüßen Sie meinen Vater.


 
Mein Vater und Ich

 

Ihre Jana Hora-Goosmann


PS: Danke an meine, Ende der neunziger Jahre verstorbenen Oma, die peux a peux und mit jedem ihrer Besuche in Deutschland, dafür gesorgt hatte, dass meine Eltern wieder zu diesen Fotos gekommen sind. Und danke an meine Mutter, die den gestrigen Vormittag damit verbrachte, nach eben diesen Fotos zu suchen und sie für mich abzufotografieren.




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